Das Bensche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 19. 20.) 57
19. März. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt
über das Auftreten Schönerers im österreichischen Abgeordneten-
hause vom 7. (s. Osterreich):
Fürst Bismarck hat stets daran festgehalten, daß wir uns nicht in
die inneren Angelegenheiten anderer Staaten mischen sollen und daß die
Achtung der Dynastien einen wesentlichen Bestandteil einer internationalen
Politik bildet. Dies gilt in besonderem Maße für das Verhältnis des
Deutschen Reiches zu der verbündeten österreichisch-ungarischen Monarchie
sowie in Bezug auf die beiden eng befreundeten Herrscherhäuser Hohen-
zollern und Habsburg und zwar heute ganz ebenso wie zur Zeit Kaiser
Wilhelms des Großen und seines großen Kanzlers. Der Abg. Schönerer
hat gegen diese bewährten Grundsätze mit dem Schlußsatz seiner Rede
gröblich verstoßen und der Wirkung nach, was auch seine Absicht gewesen
sein mag, nur seinen tschechischen Gegnern und anderen zersetzenden Ele-
menten Vorschub geleistet.
20. März. (Preußisches Herrenhaus.) Der katholische
Graf Wilhelm Hoensbroech verurteilt scharf die polnischen Be-
strebungen und tadelt, daß viele katholische Geistliche dieses staats-
gefährliche Treiben unterstützen.
20. März. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl in
Breslau wird Bernstein (Soz.) mit 14692 Stimmen gewählt.
Heilberg (fr. Vp.) erhält 6408, Bellerode (konsi.kler.) 4426 Stimmen.
20. März. (Berlin.) Der Reichskanzler und die Frauen-
rechtsbewegung.
Graf Bülow empfängt eine Deputation des Vereins für Frauen-
stimmrecht, die ihm folgende Adresse überreicht:
„Die Versammelten bitten im Namen vieler deutscher Frauen um
die Vorlage eines Reichsgesetzes, dahin lautend: „Die vereinsrechtlichen
Beschränkungen der Frauen sind in allen deutschen Bundesstaaten auf-
gehoben.“ Sie bitten ferner um Aufhebung von Ziffer 6 des § 361
Reichsstrafgesetzbuches, dessen Wirkung ein unerträgliches Ausnahmegesetz
für alle deutschen Frauen bedeutet. Sie bitten endlich, daß durch Reichs-
gesetz bestimmt werden möge, daß nach vollgültig abgelegter Maturitäts-
prüfung das weibliche Geschlecht das gleiche Anrecht auf Immatrikulation
an Hochschulen habe wie das männliche, daß bei der in Aussicht gestellten
Reform des Mädchenschulwesens in Preußen eine Anzahl sachverständiger
Frauen zur Mitarbeit herangezogen werde, daß der privaten Initiative
bei Reformversuchen für Mädchenschulen durch Konzessionsversagung seitens
des Kultusministeriums nicht länger hindernd in den Weg getreten wird
und daß die Errichtung obligatorischer Fortbildungsschulen für Mädchen
eingeleitet werde."
Die citierte Ziffer 6 des § 361 des Reichsstrafgesetzbuches verhängt
Haft über weibliche Personen, die der sittenpolizeilichen Aufsicht unterstellt
sind und den bezüglichen Vorschriften zuwiderhandeln oder die sich der
sittenpolizeilichen Aufsicht entziehen, trotzdem sie darunter gehören.
Der Reichskanzler erwidert: Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen
beredten Worte, ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen und bitte Sie, davon
überzeugt zu sein, daß ich mir der außerordentlichen Bedeutung und des
Ernstes der Frauenfrage wohl bewußt bin. Was die angeregten Punkte