120 Das Dentsqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli.)
eine bedingungslose Wahl eines Sozialdemokraten befürwortet, weil er
erwartet, daß sie das Verantwortlichkeitsgefühl der Partei stärken, sie ge-
neigter zu positiver Mitarbeit machen und den radikalen Flügel immer
mehr schwächen werde, steht fast allein. Einige Stimmen fordern, man
solle dem sozialdemokratischen Präsidentschafts-Kandidaten das Versprechen
abnehmen, die bisherigen repräsentativen Pflichten des Präsidiums, d. h.
zu Hofe zu gehen, erfüllen zu wollen.
Juli. (Preußen.) Abhilfe für die Hochwassernot in Schlesien.
Es werden Sammlungen unter Beteiligung des Kaiserpaars ver-
anstaltet, die bald über eine Million einbringen. Minister des Innern
Frhr. v. Hammerstein bereist das Ueberschwemmungsgebiet, worüber die
„Berliner Korresp.“ berichtet (21. Juli): „Ueber die Provinz Schlesien,
die den Verheerungen durch Hochwasser stets besonders ausgesetzt gewesen
ist, hat die neueste Katastrophe dieser Art ein Unheil gebracht, wie es in
gleichem Umfange seit einem halben Jahrhundert nicht zu verzeichnen ge-
wesen ist. Der angerichtete Schaden ist in allen Teilen des schlesischen
Hochwassergebiets sehr erheblich, wenn auch naturgemäß verschieden in der
Art, je nachdem es sich um Verwüstungen durch angeschwollene Gebirgs-
bäche oder um solche durch Ausuferungen der Oder, der großen Verkehrs-
ader Schlesiens, handelt. Während durch die in Wild= und Sturzbäche
umgewandelten Gebirgsflüsse Zerstörungen an Gebäuden, Brücken, Wegen
und Oddachlosigkeit zahlreicher Bewohner in besonders großem Umfange
herbeigeführt wurden, ist in dem Ueberschwemmungsgebiete der Oder der
Bruch der Deiche an zahllosen Stellen, die Ueberflutung weiter, bebauter
Flächen und ein enormer Ernteverlust zu verzeichnen. Aber nicht nur der
Verlust der diesjährigen Ernte kommt in Frage, sondern in zahlreichen
Fällen auch die Hinwegschwemmung oder die Zerstörung der Ackerkrume
durch Verschlammung und Verschotterung des Bodens, die zugleich mit der
durch Ueberflutung hervorgerufenen Feuchtigkeit der menschlichen Wohn-
stätten eine drohende Gefahr für die Gesundheitsverhältnisse der Bewohner
bildet. Wie bekannt, -et der Minister des Innern, Frhr. v. Hammerstein,
das schlesische Hochwassergebiet in Begleitung der zuständigen örtlichen
Staats= und Kommunalbeamten bereist. Es geschah dies in erster Linie,
um das hohe Interesse der Staatsregierung an der Inangriffnahme einer
umfassenden Hilfsaktion an den Tag zu legen, sodann aber, um die Staats-
regierung auch durch eigene Anschauung eines ihrer Glieder über Art und
Umfang des Schadens zu unterrichten. Die zunächst und in weiterer Folge
notwendig gewordenen und vom Minister des Innern mit den örtlichen
Instanzen besprochenen Maßregeln werden sich in dreifacher Richtung zu
bewegen haben. Zunächst handelt es sich um die Linderung der augen-
blicklich drängenden Not. Dazu wird hoffentlich das Ergebnis der mit
Energie und in weitestem Umfange aufgenommenen Sammlungen, die
großer Opferfreudigkeit begegnen und an denen sich alle Kreise nicht nur
Schlesiens, sondern voraussichtlich ganz Preußens und Deutschlands be-
teiligen werden, ebenso genügen, wie zur Bestreitung der unmittelbaren
Kosten der Aufräumung und der Desinfektion. Die letztere namentlich ist
von weitesttragender Bedeutung, da erfahrungsgemäß das Auftreten epide-
mischer Krankheiten, namentlich der Ausbruch von Typhusepidemien als
Folgeerscheinung derartiger Wasserkatastrophen zu den häufig beobachteten
Erscheinungen gehört. Sodann handelt es sich um möglichst genaue Fest-
stellung des Schadens nach Umfang und Wert, namentlich soweit wenig
Bemittelte von Verlusten getroffen sind oder einzelnen die Ernährungs-
quelle zerstört ist. Die Art dieser Feststellung durch die zuständigen Ver-