Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

IEIXIIITIIEIIII (Juli 14.—21.) 205 
14. Juli. (Ungarn.) Wiederbeginn der Obstruktion im 
Abgeordnetenhause. 
Eine Gruppe der Unabhänigkeitspartei unter Führung des Abg. 
Barabas (30—40 Abgeordnete) agitiert gegen die Aufhebung der Ob- 
struktion, um die Zweiteilung der Armee zu erzwingen. Trotz dem Wider- 
spruch Kossuths beschließt sie die Obstruktion zu erneuern. Am 15. Juli 
motiviert Abg. Barabas im Abgeordnetenhause den Beschluß, der einen 
Bruch des mit Khuen geschlossenen Abkommens darstellt (S. 202), folgender- 
maßen: Wir müssen die Gelegenheit schon jetzt ergreifen, denn unser König 
befindet sich in vorgerückten Jahren und die wenigen Jahre müssen wir 
im Vertrauen auf seine Achtung vor den Gesetzen und vor seinem Eide 
benützen. Jeder Ungar weiß, daß sodann sehr trübe Tage für das Land 
kommen werden. A ur dann wird die Nation stark sein, wenn auch die 
Armee von nationalem Selbstbewußtsein erfüllt ist. Gerade deshalb fürchten 
wir auch keine Drohungen. Die Drohungen mit dem Verfassungsbruch 
und mit dem Absolutismus schrecken uns nicht.“ 
20. Juli. (Ungarn.) Bei dem Marsche des 12. Infanterie- 
Regiments von Trebinje nach Bielek sterben 15 Soldaten am Hitz- 
schlag. Nach amtlichen Erklärungen ist die Ursache der plötzliche 
Eintritt unerträglicher Hitze. 
2. Juli. (Ungarn.) Abgeordnetenhaus. Apponyi über die 
Armeefrage. 
Der Präsident des Hauses, Graf Apponyi, erklärt sich grundsätz- 
lich für die Politik des Grafen Khuen. Hinsichtlich der Armeereform halte 
er eine Erhöhung des Rekrutenkontingents für notwendig innerhalb der 
finanziellen Grenzen, die der Honvedminister bezeichnet habe. Was das 
militärische Strafverfahren angehe, so fordere er, daß bei öffentlicher Ver- 
handlung die ungarische Sprache angewendet werde. Bezüglich der Ver- 
setzung ungarischer Offiziere nach Ungarn fordere er beschleunigtes Tempo. 
Betreffs der ungarischen Kommandos habe er stets behauptet, dies sei kein 
Reservatrecht der Krone, das der Verfügung der Parlamentsfaktoren ent- 
zogen sei; doch sei es ein Irrtum, anzunehmen, daß die Gesetze vom Jahre 
1867 das ungarische Kommando festsetzen, ferner daß diese gesetzliche Vor- 
schrift nur mißachtet worden sei, und daß es deshalb die Aufgabe der 
Obstruktion sei, dem ungarischen Kommando Geltung zu verschaffen. Dieser 
Standpunkt, den die Obstruktion als Rechtsgrundlage gewählt habe, sei 
unhaltbar. — Ich halte die Forderung, daß bei den ungarischen Regimen- 
tern als Dienst= und Kommandosprache die ungarische Sprache zur Gel- 
tung komme, für eine Forderung, die früher oder später verwirklicht werden 
muß. (Stürmischer Beifall auf allen Seiten des Hauses.) Ich bin dieser 
Anschauung, weil ich in der Erfüllung dieser Forderung ein Mittel der 
Konsolidierung der ungarischen Nation erblicke. Diese Konsolidierung zu 
fördern, ist das höchste Interesse der Dynastie und der Nation. Ich fordere 
jetzt jedoch deshalb nicht die Verwirklichung dieses meines Standpunktes, 
weil ich zur Zeit große und fast unbesiegbare Schwierigkeiten dabei voraus- 
sehe. Ich schließe jedoch aus, daß Schwierigkeiten von seiten der Krone 
erhoben werden, denn ich bin überzeugt, daß, sobald der wohlerwogene 
nationale Wille zum Ausdruck gelangen wird, der Monarch kein Hindernis 
in den Weg legen wird. Die Obstruktion flöße ihm die größten Besorg- 
nisse ein. Redner erörtert dann die Besprechungen des Ministerpräsidenten
	        
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