14 HBas Ventsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19./23.)
erheben. Notwendig ist die strikte Innehaltung der Reichsverfassung unter
Berücksichtigung der einzelnen Stämme und Bundesstaaten, um so mehr,
als die Anprüte gewachsen sind. Recht muß Recht bleiben!
Reichskanzler Graf Bülow: Ich hatte nicht die Absicht, m. H.,
schon jetzt in die Debatte einzugreifen, ich sehe mich aber hier genötigt
durch die Art und Weise, wie der Herr Vorredner das Telegramm zur
Sprache gebracht hat, welches Se. Majestät der Kaiser vor fünf Monaten
an Se. königliche Hoheit den Prinzregenten von Bayern gerichtet hat.
Der Herr Abgeordnete Schädler hat die Frage aufgeworfen, ob und inwie-
weit ich für dieses Telegramm die Verantwortung übernähme. Nach unserer
Verfassung, die uns alle bindet, bin ich verantwortlich für diejenigen kaiser-
lichen Entschließungen, welche zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des
Reichskanzlers bedürfen. Artikel 17 der Reichsverfassung bestimmt, daß
Anordnungen und Verfügungen des Kaisers der Gegenzeichnung des Reichs-
kanzlers bedürfen, welcher dadurch die Verantwortlichkeit für dieselben
übernimmt. Diese Gegenzeichnung und die dadurch begründete Verant-
wortlichkeit erstreckt sich also nur auf Anordnungen und Verfügungen des
Kaisers, also nur auf solche Handlungen, welche in unmittelbarer Aus-
führung der dem Kaiser zustehenden Regierungsrechte vor sich gehen, also
nicht auf persönliche Kundgebungen (Sehr richtig!), selbst wenn solche Kund-
gebungen programmatischer Natur sind. (Sehr richtigl) Dementsprechend
ist, wie sich alle erinnern werden, der bekannte Erlaß des Kaisers Friedrich
vom März 1888, in welchem der verewigte Monarch die Grundsätze dar-
legt, nach denen er seine Regierung einzurichten wünschte, von keinem
Minister gegengezeichnet worden. Ebenso sind die Erlasse unseres jetzigen
Kaisers vom Februar 1890 über die Ordnung der Arbeitsverhältnisse gleich-
falls von keinem Minister kontrasigniert. Jenseits dieser von der Ver-
fassung gezogenen Schranken da beginnt das weite Gebiet, wo nicht mehr
die formale Verantwortlichkeit des Reichskanzlers Platz greift, sondern, ich
möchte sagen, die Imponderabilien der Tradition, des Taktes, der Ge-
wissenhaftigkeit, der moralischen Verantwortlichkeit. Welche Folgerungen
ergeben sich nun aus dieser moralischen Verantwortlichkeit des Reichskanzlers
gegenüber persönlichen Kundgebungen des Kaisers? Reichsgesetzlich ist diese
moralische Verantwortlichkeit weder ausgedrückt, noch umschrieben. Sie
folgt aber meines Erachtens aus der Natur der kanzlerischen Institution.
Ich nehme gar keinen Anstand, hier und vor dem Lande zu sagen, daß
ein gewissenhafter, ein seiner moralischen Verantwortlichkeit bewußter Reichs-
kanzler nicht würde im Amt bleiben können, wenn er Dinge nicht ver-
hindern könnte, die nach seinem pflichtmäßigen Ermessen das Wohl des
Reiches wirklich und dauernd schädigen würden. (Hört, hörtl) Aber
andererseits verbleibt dem Kaiser auch über die Schranken der Verfassung
hinaus ein weites Maß eigenen Aktionsrechtes und persönlicher Initiative.
Wie jeder Staatsbürger, darf auch der Kaiser von dem Rechte Gebrauch
machen, seine Meinung zu äußern. (Sehr richtigl) Das Recht der freien
Meinungsäußerung, das nach der Verfassung, Artikel 25 (Lachen links)
jedem Preußen zusteht, werden Sie auch dem Kaiser nicht verweigern dürfen.
(Nein, nein! links. — Glocke des Präsidenten.) Wenn der Kaiser seiner
kräftigen Natur entsprechend seine Meinung hier und da kräftig zum Aus-
druck bringt, so wird ihm das doch gerade der Herr Abgeordnete Schädler
nicht vorwerfen, der weder heute, noch in Tuntenhausen als Leisetreter
aufgetreten ist. (Heiterkeit.) Dies Recht der freien Meinungsäußerung dem
Kaiser zu wahren, hat der Reichskanzler die Pflicht. Solche persönlichen
Kundgebungen des Kaisers bedürfen zu ihrer Gültigkeit auch nicht der
Gegenzeichnung des Reichskanzlers. Der Gedanke, den Kaiser in der