Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

Großbritannien. (Mai 28.) 253 
Nationen zu decken. Doch gehe gegenwärtig die Tendenz nach einer ent- 
gegengesetzten Richtung, und soweit Amerika in Betracht komme, das einst 
Großbritanniens bedeutendster Schuldner gewesen sei, bestehe jetzt eine 
Bewegung, welche dahin zu zielen scheine, England zu Amerikas Schuldner 
zu machen. Er sage nicht, daß diese Tendenz die von dem Kolonialminister 
vorgeschlagene Politik unbedingt rechtfertige, doch sei es eine Möglichkeit, 
welche man schwer ohne Unruhe ins Auge fassen könne. Er frage, ob die 
Angelegenheit von der öffentlichen Erörterung ausgeschlossen werden solle 
und ob England nicht aus Gründen der Selbstverteidigung die Politik zu 
erwägen gezwungen sei, daß es die Einkünfte für andere Zwecke als die 
der Staatsausgaben erhöhe. Eine jede andere Nation tue das. Er frage 
weiter: Sind wir in unseren Herzen mit einer Lage zufrieden, die uns 
fremden Ländern gegenüber mit Bezug auf die Tarifverhandlungen voll- 
kommen hilflos läßt? Und wenn von irgend einem fremden Lande etwa 
der Versuch gemacht wird, zu erklären, wir seien so getrennt von unseren 
Kolonien, daß diese mit Recht als besondere Nationen behandelt werden 
dürften, werden wir dann nicht durch den Patriotismus der öffentlichen 
Meinung, wie durch Rücksicht auf uns selbst und unsere Kolonien gezwungen 
sein, uns solcher Theorie zu widersetzen, wenn es nötig ist, auch durch 
Vergeltungsmaßnahmen im Steuerwesen? Die Kolonien mit Selbstver- 
waltung müssen die gleichen Vorteile haben, wie sie den unter vollständiger 
Kontrolle der Zentralregierung stehenden Kolonien anderer Nationen gewährt 
werden. Um dies zu erreichen, müssen wir zollpolitische Waffen in der 
Hand haben. Ein fernerer Grund für die vorgeschlagene Zollpolitik ist das 
Bestreben, das Reich enger zusammenzuschließen. Das Volk ist nur 
gewillt, einen Nahrungsmittelzoll anzunehmen, wenn die zollpolitische und 
reichspolitische Stellung dadurch auf eine bessere Grundlage gestellt werde. 
Ein Beschluß in dieser Angelegenheit ist aber nur zu erreichen, wenn die 
Sache in England und seinen Kolonien zuvor eingehend erörtert wird. 
Eine Schwierigkeit besteht allerdings infolge der überlieferten Abneigung 
der Bevölkerung gegen Lebensmittelzölle und wegen der traditionellen 
Vorliebe der Kolonien für Schutzzölle. Er versichere, es bestehe kein 
Widerspruch zwischen seinen Ansichten und denjenigen Chamberlains; über 
die vorliegende Frage werde das jetzt bestehende Haus überhaupt nicht 
mehr zu entscheiden haben; es sei eine Frage der künftigen Steuerpolitik, 
welche die sorgfältigste Prüfung erfordere. Wenn die öffentliche Meinung 
reif werde und wenn die Kolonien und das Volk Großbritanniens der 
Meinung seien, daß etwas getan werden müsse, um das britische Reich in 
die wirtschaftliche Lage zu bringen, welche der glänzenden wirtschaftlichen Lage 
der Vereinigten Staaten gleiche, dann werde England wohl tun, auch dement- 
sprechend zu handeln. Wenn dieser Plan sich aber nicht als durchführbar 
erwiese oder wenn nicht irgend ein anderer Plan das gleiche Ergebnis haben 
sollte, wenn also das britische Reich dauernd aus einer Reihe isolierter wirtschaft- 
licher Einheiten bestehen müsse, so würde es vergeblich sein, zu hoffen, daß 
auch diesem Zweige der angelsächsischen Rasse der große, sieghafte wirtschaftliche 
Fortschritt bestimmt sei, der unzweifelhaft vor den Vereinigten Staaten liege. 
Abg. Hough Cecil: Canada,habe ernste Beschwerden gegen Deutsch- 
land, doch gebe es für England einen anderen Weg als die Anwendung 
von Steuermaßregeln. Englands Freundschaft sei wertvoll. Die auswär- 
tigen Staatsmänner müßten erfahren, daß diese Freundschaft durch nichts 
mehr geschwächt werde, als durch ein den Kolonien zufügtes Unrecht. 
Wenn die Zeit komme, daß Englands Freundschaft für Deutschland eine 
Erwägung ersten Ranges sei, werde nicht vergessen werden, daß das Deutsche 
Reich eine der großen Kolonien Englands in nicht billiger Weise behandelt habe.
	        
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