Vie Römische Hurie. (November 9. Dezember 18.) 313
den gottlosen Gegnern eine Angriffsfläche. Die Kirche gehört keiner Partei
an. Gibt es nicht Republiken, wo die Katholiken das vollste Maß ihrer
Freiheit und Rechte genießen? Der Kardinalerzbischof von Baltimore
hat mir einmal erzählt, mit welcher Zuvorkommenheit er vom Präsidenten
Roosevelt aufgenommen wurde, obgleich dieser Protestant ist. Müssen die
französischen Katholiken nicht das Los beneiden, das die Katholiken im
protsstantischen England gefunden haben? Müssen sie nicht die Stellung
beneiden, die die deutschen Katholiken unter der Herrschaft des protestan-
tischen deutschen Kaisers errungen haben?
9. November. Papst Pius X. hält sein erstes Konfistorium
ab und hält eine Ansprache über Glauben und Wissen:
Sein Wahlspruch sei: Instaurare omnia in Christo, in Christus, der
die Wahrheit ist, weshalb ihm selber vor allem die Verkündigung und
Lehre der Wahrheit obliege. Die Wahrheit suchten die einen eifrig aus
Naturtrieb, andere haßten ihre Verkündigung, weil sie ihre Irrtümer und
Leidenschaften enthülle. Insbesondere werde die katholische Wahrheit ge-
haßt und verleumdet, als wenn sie der Freiheit und der Wissenschaft, dem
Fortschritt des Menschengeistes zuwider wäre. Die Kirche sei eine Geg-
nerin der Zügellosigkeit im Denken und Handeln, dieser verderbten Frei-
heit, der nichts heilig sei; die wahre und echte Freiheit werde von der
Kirche aber nicht nur nicht beschränkt, sondern im Gegenteil sogar eifrig
gefördert. Auch könne es keinen Streit zwischen Glauben und Wissenschaft
geben, der Glaube fördere vielmehr das Wissen. Warum sollte der Papst,
der Hüter der katholischen Wahrheit, nicht die Erfindung großer Geister,
die wissenschaftlichen Entdeckungen, die Erweiterungen der Wissensgebiete,
die doch alle zur Hebung des menschlichen Lebens dienen, nicht begrüßen?
Doch müsse er die Ueberschreitungen des ewigen göttlichen Gesetzes durch
die neuere Philosophie treu dem apostolischen Amte zurückweisen; das sei
keine Hemmung des Fortschrittes der Menschheit, sondern ihre Rettung.
Freilich werde er selbst so wenig wie seine Vorfahren, erreichen können,
daß die Wahrheit die weitverbreiteten Irrtümer und alle Ungerechtigkeit
besiege, aber er werde alles für diesen Sieg tun. In diese Ausführungen
religiöser Art sind einige Wendungen politischer Färbung eingestreut: „Da
es aber nötig ist und auch der christliche Staat das größte Interesse daran
hat, daß der Papst in der Leitung der Kirche frei sei und als frei erkannt
werde und keiner Macht untertan sei, so zwingt Uns die gewissenhafte
Auffassung Unseres Amtes und der von Uns geleistete Eid, das in diesem
Punkte der Kirche zugefügte schwere Unrecht zu beklagen. .“ „Man muß
sich darüber verwundern, daß es Leute gibt, die in ihrer Neugierde sich
mit Vermutungen abquälen über Unser Regierungsprogramm. Als ob das
einer Untersuchung bedürfte, oder als ob es nicht ganz offenkundig sei,
daß Wir denselben Weg gehen wollen und müssen, den Unsere Vorgänger
bis heute eingehalten haben ...“ „Wenn man Anstoß drran nimmt, daß
Wir Uns um Politik kümmern, so muß doch jeder billig Denkende ein-
sehen, daß der Papst von seiner lehramtlichen Tätigkeit auf Glaubens= und
Sittengebiet Fragen politischer Art nicht trennen kann. Ueberdies muß er
als Oberhaupt und Lenker einer vollkommenen, aus Menschen sich zusam-
mensetzenden und unter Menschen bestehenden Gesellschaft, wie es die Kirche
ist, doch zweifellos den Wunsch haben, daß zwischen ihm und den Staats-
oberhäuptern und Staatslenkern Beziehungen bestehen, wenn er für die
Sicherheit und Freiheit der Katholiken in allen Weltteilen gesorgt wissen
will.“ (Köln. Volksztg.)
18. Dezember. Kundgebung des Papstes über Meinungs-