Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

334 Kußland. (März 23.) 
und die orthodoxe Kirche als die herrschende achtend, allen andersgläubigen 
Untertanen und fremden Konfessionen die Freiheit des Glaubens und des 
Gottesdienstes nach anderem Ritus zu gewähren. Ferner haben Wir für 
gut befunden, die Durchführung der Maßnahmen zur Aufbesserung der 
materiellen Lage der orthodoxen Landgeistlichkeit fortzusetzen und deren 
Teilnahme an dem geistigen und öffentlichen Leben ihrer Herde zu ver- 
tiefen. Entsprechend den bevorstehenden Aufgaben der Festigung der Volks- 
wirtschaft ist die Tätigkeit der Institutionen für den Staatskredit, besonders 
der Adels= und Bauernbanken auf die Festigung und Entwicklung des 
Wohlstandes der Grundpfeiler des russischen Dorflebens, des lokalen Adels 
und der Bauern, zu richten. Die von uns vorgezeichneten Arbeiten zur 
Revision der Gesetze für die Landbevölkerung sind nach ihrer Ausführung 
an die Gouvernementskonferenzen behufs weiterer Ausarbeitung und An- 
passung an die lokalen Besonderheiten unter weitgehender Hinzuziehung 
von Personen, die das öffentliche Vertrauen genießen, zu überweisen. Die 
Grundlage dieser Arbeiten bleibt der unantastbare Gemeindebesitz bei Aus- 
findigmachungen von Wegen, um den Bauern den Austritt aus der Ge- 
meinde zu erleichtern. Unverzüglich sind Maßnahmen zu treffen zur Auf- 
hebung der den Bauern lästigen Haftpflicht. Die Gouvernements- und 
Kreisverwaltung ist zu reformieren durch Arbeiten der lokalen Vertreter. 
Aufgabe einer weiteren Regelung des lokalen Lebens wird die Annähe- 
rung der Kommunalverwaltung und der Pfarrkuratorien der orthodoxen 
Kirchen sein, wo es möglich ist. Indem wir alle Untertanen auffordern, 
mitzuwirken bei der Befestigung der sittlichen Grundlagen der Familien, 
der Schule und des öffentlichen Lebens, befehlen Wir Unseren Ministern 
und allen betreffenden Oberbeamten, Uns ihre Erwägungen über die Aus- 
führung Unserer Absichten zu unterbreiten.“ 
B. März. (Gouv. Ufa.) In der Eisenfabrik Slatoust streiken 
160 Arbeiter und machen Angriffe auf die Behörden. Das Militär 
greift ein und tötet 28 Personen. 
Ende März. Ländliche Steuerreform. 
Infolge des Reformmanifestes (S. 333) wird die gegenseitige Haft- 
pflicht der Dorfbevölkerung für die Steuern aufgehoben. Die rückständigen 
Steuern im Betrage von 111 Millionen Rubel werden niedergeschlagen. 
Dee der Landschaft schuldigen 30 Millionen wurden von der Regierung 
übernommen. 
März. Preßstimmen über das Reformmanifest. 
Die „Moskowskje Wjedomostie“ sind erfreut, daß das Manifest den 
Irrlehren, die sich gegen die Autokratie und die orthodoxe Kirche richteten, 
ein Ende mache. — „Nowoje Wremja“ erwartet eine Dezentralisation der 
Verwaltung, da das jetzige zentralisierende System zu einer übermäßigen 
Entwicklung des Bureaukratismus geführt habe, eines Bureaukratismus, 
der selbst bei den besten Absichten zu schöpferischer Arbeit unfähig, dagegen 
zu einer Arbeit, welche die schöpferischen Kräfte des Landes paralysiert, 
allzusehr imstande sei. — „Graschdanin“: Welches ist die Bedeutung dieses 
Manifestes? Liest man es aufmerksam durch, so findet man die klare 
Antwort. Und diese Bedeutung ist groß und erfreulich: der Weg aus 
Rußland zum Throne und vom Throne nach Rußland, der seit alter Zeit 
eng war und durch die Schneemassen der Bureaukratie führte, wird in 
einen breiten und offenen verwandelt. Das ist eine segensreiche, von der 
Höhe des Thrones erfolgte Aeußerung des Glaubens an die schöpferische 
Kraft des lokalen Lebens, und infolge dieses Glaubens ein Aufruf zur 
 
	        
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