Das Dentsqhhe Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 21.—23.) 27
v. Ballestrem, im Reichstage selbst zur Erörterung zu bringen, so wenden
wir uns an die Oeffentlichkeit. Wir überlassen dem deutschen Volke, über
dieses durch den Präsidenten des Reichstages auf die Redefreiheit verübte
Attentat das Urteil zu fällen.“
21. Januar. Die „Kölnische Zeitung“ schreibt gegen eng-
lische Beurteilung der deutschen Politik in Amerika:
„Nach den „Daily News soll der amerikanische Botschafter in Berlin,
auf Aufforderung seiner Regierung, die deutsche Regierung zur Rede ge-
stellt haben darüber, ob Deutschland die französischen Rechte auf den
Panamakanal erwerben wolle. Deutschland hätte verneint. Nach der „Times“
wühle Deutschland in Kolumbien gegen die Unterzeichnung des Panama-
kanalvertrags mit Amerika seitens Kolumbiens und strebe eine Marine-
station an. Solche Torheiten sind höchstens beleidigend für die ameri-
kanische Diplomatie, der man eine so unglaubliche Unwissenheit und solche
Unkenntnis der politischen Lage zutraut. Auf derselben Höhe steht die
amerikanische Meldung, Präsident Castro habe schon vor einer Woche ge-
wußt, daß die deutsche Regierung ihre Marine angewiesen habe, vor Ein-
treffen Bowens in Washington venezolanisches Gebiet anzugreifen. Die
deutsche Regierung denkt nicht daran, die Operationen in Venezuela von
Berlin aus zu leiten. Wenn man uns schon alle möglichen schwarzen Pläne
zutraut, sollte man doch bedenken, daß die deutsche Regierung nicht so
wir#verbranmt ist, absichtlich den Gang der friedlichen Verhandlungen
zu stören.“
. Januar. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl in
Meppen wird Engelen (Z.) mit 14724 Stimmen gewählt. v. Ger-
lach (nat.soz.) erhält 1958, Tholen (ul.) 2121, Schumann (Soz.)
112 Stimmen.
22. Januar. Das Preußische Abgeordnetenhaus ver-
weist die Vorlage über die Ausbildung der höheren Verwaltungs-
beamten an eine Kommission. — Der Entwurf wird im allgemeinen
günstig beurteilt.
23. Januar. (Reichstag.) Graf Ballestrem legt das Prä-
sidium nieder. Er richtet folgendes Schreiben an den Reichstag:
Das führende Preßorgan der konservativen Partei, die „Kreuz-
zeitung“, enthält in ihrer Abendausgabe vom 21. d. einen Artikel, der
meine Geschäftsführung als Präsident des Reichstages, wenn auch mit
verbindlichen Worten, so doch sachlich scharf kritisiert und mißbilligt. Da
es ausgeschlossen erscheint, daß der Artikel ohne Vorwissen der konservativen
Partei veröffentlicht sein sollte, muß ich annehmen, daß er die Anschau-
ungen der Partei richtig wiedergibt. Da nun die konservative Partei eine
der großen Parteien ist, welche meine Berufung auf den Präsidentenstuhl
herbeigeführt und meine Geschäftsführung vertrauensvoll unterstützt haben,
geht für mich aus dieser Erklärung hervor, daß ich dieses Vertrauen nicht
mehr in dem Grade besitze, den ich für notwendig halte, um die Geschäfte
des Reichstages mit Erfolg zu führen. Ich lege daher hiermit das Amt
des Präsidenten nieder und zurück in die Hände, welche es mir vor länger
als vier Jahren übertragen haben, indem ich für alles mir während dieser
Zeit bewiesene Vertrauen ganz ergebenst danke. Ballestrem.