396 Aebersit der politiscen Eutwichelung des Jahres 1903.
flüssige Brutalität hinzustellen. Diese Opposition der Franzosen
gegen die Begünstigung der Blockademächte ist in den Haager Ver-
handlungen, die am 1. Oktober begonnen haben, fortgesetzt worden.
(Üüber die Venezuelafrage vgl. S. 13, 44, 61 und Staats-Archiv
Bd. 68.)
Ein anderer Konflikt, der in seinem Ursprung noch viel
weiter zurückgeht als der venezolanische, ist der makedonische.
Wir hatten im vorigen Jahre darauf hingewiesen, daß in Bul-
garien eine starke Partei für die Unterstützung der insurgierten
Stammesgenossen in Makedonien agitierte, und daß diese Agitatoren
auch in der Armee Anhang fanden. Es wurde gar befürchtet, daß
die Armee zu einer Revolution schreiten könne, wenn der Fürst
den nationalen Wünschen nach einer Kriegserklärung an die Pforte
nicht willfahre. Die europäischen Großmächte, sonst so uneinig in
allen Balkanfragen, haben diesmal durch einmütiges Vorgehen das
Schlimmste verhindert. Rußland und Österreich-Ungarn, die beiden
Nächstbeteiligten, übernahmen die Führung in der diplomatischen
Aktion, sicherten sich aber bei jedem wichtigen Schritt die Zustim-
mung der übrigen. Auf doppelte Weise suchten fie eine solche
Kriegsgefahr zu beschwören: durch Unterdrückung der bulgarischen
Kriegslust und durch Reformen in Makedonien, die den Bulgaren
den berechtigten Anlaß zur Unzufriedenheit nehmen sollten. Den
ersten Zweck erreichten die Mächte anscheinend ohne besondere Mühe:
in Sofia, dem Hauptorte der bulgarisch-makedonischen Agitation,
wurden die makedonischen Komitees aufgelöst und einige der
Hauptführer verhaftet (Februar). Schwieriger war der zweite Teil
der Aufgabe. Der Krebsschaden liegt in der Verderbtheit der
Bureaukratie und in der Finanznot der Pforte. Die makedonische
Bevölkerung ist der Willkür der Steuerbeamten und der Gendar-
merie preisgegeben; schlecht bezahlt erpressen diese das Notwendige
für ihren Unterhalt von der Bevölkerung. Das Radikalmittel,
Makedonien von der Pforte loszureißen und einen neuen selb-
ständigen Balkanstaat mit besserer Verwaltung zu schaffen, ist un-
anwendbar, weil ein solcher Staat in den zahlreichen Muham-
medanern stets ein revolutionäres Element bergen würde, und weil
überdies die serbischen, bulgarischen und griechischen Christen einst-