34 Nas Neutsche Reich und seine einjelnen Slieder. (Februar Anfang.)
Anfang Februar. (Bayern.) Süddeutsche Preßfehde über
die Swinemünder Depesche und die Haltung des Zentrums.
Im Anschluß an den Delegiertentag des Zentrums findet eine leb-
hafte Preßfehde zwischen liberalen und klerikalen Organen statt. In den
liberalen Blättern wird namentlich Abg. Heim angegriffen, weil er mit
seinen Aeußerungen den Kaiser und den Regenten beleidigt habe. Die
katholische Presse führt unter scharfen Angriffen auf die bayerische Regie-
rung aus, diese Aeußerungen seien durch die Mitteilung, der Prinzregent
habe dem Reichskanzler über seine Rede zur Swinemünder Depesche be-
sondere Freude und Anerkennung ausdrücken lassen, hervorgerufen. Die
Regierung habe diese Mitteilung gerade am Delegiertentag gemacht, um
den Regenten gegen das Zentrum auszuspielen, und das habe Heim in
solche Erbitterung versetzt. Hiergegen wendet sich die „Süddeutsche Reichs-
korrespondenz“: „Man erhebt gegen den Ministerpräsidenten den törichten
Vorwurf, diese Veröffentlichung sei von ihm absichtlich für den Delegierten-
tag zurückgestellt worden und scheut sich nicht, zu behaupten, Graf Crails-
heim habe damit die geheiligte Person des Regenten selbst in den Kampf
der Parteien gezogen und so die Verantwortung für — Dr. Heim zu tragen.
.. Auf die letzte geradezu groteske Beschuldigung einzugehen, wird uns
wohl niemand zumuten. Wie aber verhält es sich mit der Veröffentlichung?
Sie rührt weder von dem Ministerpräsidenten, noch von einem sonstigen
Mitgliede der Regierung her. Die bayerische Regierung hätte allerdings
an und für sich nicht den geringsten Grund gehabt, aus einer Vertrauens-
kundgebung des Regenten an den Reichskanzler ein Geheimnis zu machen.
Ist es schon so weit, daß das Zentrum den Anspruch erhebt, die Krone
müßte bei solchen Anlässen erst sein Placet einholen und Bayerns Regent
müßte seine Anschauung über politische Vorgänge und Ereignisse nach der
Ansicht einer Partei im Lande formen oder ummodeln?... Ein Dank-
telegramm, wie die Zentrumsblätter sagen, ist nicht abgegangen, davon
haben auch die „Münchener Neuesten Nachrichten“ nichts berichtet. Der
Ministerpräsident entledigte sich vielmehr des Allerhöchsten Auftrages beim
nächsten Gesandtenempfang. So konnte der Dank des Reichskanzlers erst
ein oder zwei Tage vor dem Zentrumstag eintreffen und die Zeit der,
wir wiederholen es, nicht vom Ministerpräsidenten herrührenden Veröffent-
lichung also gar nicht in Rücksicht darauf bestimmt worden sein; sonst hätte
man doch wohl den Tag des Beginnes gewählt.“
Im weiteren Verlauf der Debatte behaupten katholische Blätter,
z. B. „Kölnische Volkszeitung“, die Tage des Ministeriums Crailsheim
seien gezählt, worauf die „Münchener Neuesten Nachrichten“ erwidern:
„Wir wissen bestimmt, daß Leute, die so etwas schreiben, an paranoia politica
leiden.“ (Mitte Februar.)
Anfang Februar. (Hessen.) Die Regierung legt einen Ent-
wurf zu einem neuen Wahlgesetze vor.
Danach soll die Zweite Kammer künftighin aus 55 Abgeordneten
bestehen, von denen 15 auf die größeren Städte entfallen, die bisher 10 Ab-
geordnete wählten. Die übrigen 40 Abgeordneten werden von den nicht
mit einem besonderen Wahlrecht begabten Städten und den Landgemeinden
in den zu diesem Zweck gebildeten Wahlkreisen gewählt. Die Zweite Kammer
geht aus direkten (bisher indirekten) Wahlen mit geheimer Abstimmung
hervor. Stimmberechtigt bei den Wahlen der Abgeordneten sind alle Hessen
männlichen Geschlechts, die 1. zur Zeit der Wahl das 25. Lebensjahr zurück-
gelegt haben, 2. zur Zeit der Wahl wenigstens drei Jahre in dem Groß-