36 Das Veentsche Reich und seine einfelnen Glieder. (Februar 3.)
Mehrheit in diesem Hause kaum zu rechnen haben werden. (Zustimmung
links.) Und dann bedenken Sie auch, daß die deutschen Bundesregierungen
und die verbündeten Regierungen bei dem Abschlusse des Bundes zu gunsten
der Reichseinheit auf wertvolle Rechte verzichtet haben. Unter diesen Um-
ständen ist es begreiflich, wenn die Neigung für eine Maßnahme, die zweifel-
los eine tiefgehende Aenderung der Reichsverfassung bedeutet, nicht groß
ist. Ebenso zweifellos ist es, daß jede Aenderung der Reichsverfassung der
gründlichsten und reiflichsten Prüfung bedarf. Aus diesen Gründen bin
ich heute noch nicht in der Lage, die Zustimmung des Bundesrats zum
Beschlusse dieses Hauses wegen Gewährung von Anwesenheitsgeldern zu
erklären. Was nun die Anträge des Grafen Hompesch und Genossen und
des Grafen Limburg-Stirum und Genossen angeht, so habe ich das Nach-
stehende zu sagen: Die Zulassung von Niederlassungen des Ordens der
Gesellschaft Jesu dürfte aus denselben Gründen, die den Erlaß des Jesuiten-
gesetzes herbeigeführt haben, die Zustimmung der verbündeten Regierungen
nicht finden, dagegen bin ich der Ansicht, daß die konfessionellen Verhält-
nisse innerhalb des Deutschen Reiches es nicht länger notwendig erscheinen
lassen, eine Anzahl deutscher Staatsangehöriger deshalb, weil sie dem Orden
Jesu angehören, unter die Bestimmungen eines Ausnahmegesetzes zu stellen,
oder dem Reiche gegenüber den ausländischen Angehörigen dieses Ordens
eine besondere Ausweisungsbefugnis zu geben. Ich glaube vielmehr, daß
die allgemeinen Reichs= und Staatsgesetze genügen werden, um den kirch-
lichen Frieden zwischen den beiden christlichen Bekenntnissen zu sichern. In
diesem Sinne werde ich, insoweit die Stimmen Preußens im Bundesrate
von Einfluß sind, zu den vorliegenden Initiativanträgen des Reichstages
Stellung nehmen.
Abg. Spahn (3.) bedauert, daß der Bundesrat nicht das ganze
JFesuitengesetz beseitige, dankt aber dem Reichskanzler im Namen des katho-
lischen Volkes, daß wenigstens der § 2 fallen solle. Abg. Bassermann
(nl.): Solche Kompensationen, wie sie der Bundesrat für Diäten fordere,
würde der Reichstag nie bewilligen. Die Neueinteilung der Wahlkreise sei
wie schon einmal im Jahre 1890 abzulehnen. Abg. Fürst Bismarck (wild):
Diäten würden das Niveau des Reichstags herabsetzen. Abg. v. Vollmar
(Soz.): Die Sozialdemokraten seien für die Aufhebung des Jesuitengesetzes,
weil es ein Ausnahmegesetz sei. Abg. Spahn könne mit der Erklärung des
Kanzlers zufrieden sein. „Praktisch hat er, was er will, und faktisch be-
steht zu seiner und des Zentrums großer Freude das Jefuitengesetz fort.“
(Große Heiterkeit.)
3. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Polen-
politik, Fall Löhning. (Vgl. 1902 S. 132.)
Finanzminister v. Rheinbaben bespricht ausführlich die Verabschie-
dung des Provinzialsteuerdirektors Löhning; sie sei erfolgt, weil Löhning
die offizielle Ostmarkenpolitik nicht mehr unterstützen wollte, und die Ge-
fahren, die das Deutschtum in den Ostmarken bedrohen, machten den Be-
amten einen besonderen Grad des Eifers zur Pflicht. Die Beamten dürften
sich nicht etwa passiv verhalten oder gar hindernd der Regierungspolitik
in den Weg treten. Mit dem Kastengeist, mit der Verheiratung Löhnings
habe die Angelegenheit nichts zu tun. Abg. Kindler (fr. Vp.) und Abg.
Sattler (nl.) bedauern, daß im Osten unter den Beamten ein Kastengeist
herrsche, von dem auch der Oberpräsident nicht frei sei. Die Redner der
konservativen Parteien billigen die Haltung der Regierung.
Geh. Rat Löhning widerspricht in der „Vossischen Zeitung“ in einer
ausführlichen Erklärung der Darstellung des Ministers.