Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

Fs Beenische Reich und seine einjelnen Glieder. (Februar 11. 12.) 43 
oder Geistliche, welche der Konfession der ihnen untergebenen Schullehrer 
angehören, angestellt. Zum Bezirksschulaufseher kann von der Oberschul- 
behörde auch ein Geistlicher derjenigen christlichen Konfession, welcher die 
ihm untergebenen Schullehrer angehbren, in widerruflicher Eigenschaft be- 
stellt werden. — Als Oberschulbehörde soll für die evangelischen Volks- 
schulen statt des Konsistoriums ein evangelischer Oberschulrat gebildet werden. 
Für die katholischen Volksschulen verbleibt der katholische Kirchenrat die 
Oberaussichtsbehörde mit der Bezeichnung „Katholischer Oberschulrat“. Die 
Leitung des Religionsunterrichtes in den Volksschulen einschließlich der 
Bestimmung der Katechismen und Religionshandbücher und insbesondere 
die Visitation des Unterrichts unbeschadet des dem Staate zustehenden 
Oberaufsichtsrechtes wird den Oberkirchenbehörden übertragen. 
Das Zentrum lehnt die Vorlage wegen der Bestimmungen über die 
Bezirksaufsicht ab, die Sozialdemokraten wegen der Bestimmungen über 
den Religionsunterricht. 
11. Februar. (Sachsen.) Trennung der Ehe des Kron- 
prinzenpaares. (Vgl. 1902 S. 183.) 
Es wird folgendes Urteil veröffentlicht: Die Ehe der Parteien wird 
wegen Ehebruchs der Beklagten, begangen mit dem Sprachlehrer Giron, 
dem Bande nach getrennt. Der Beklagten werden als der allein Schul- 
digen die Kosten des Verfahrens auferlegt. 
12. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Debatte 
über die Gerichtsferien. (Vgl. 1902 S. 106.) 
Abg. Hirsch-Essen (ul.) interpelliert die Regierung über die Ab- 
schaffung der Gerichtsferien, die besonders im Interesse der Industrie zu 
erstreben sei. Justizminister Schönstedt: Er stehe einer Beseitigung der 
Gerichtsferien ablehnend gegenüber. Auf seine Anfrage hin hätten sich 
sämtliche Oberlandesgerichte und Anwaltskammern gegen die Aufhebung 
der Gerichtsferien ausgesprochen, weil die Vorteile durch die Nachteile weit 
überwogen würden. Die Gerichtsferien beständen in allen Kulturländern, 
auch in Oesterreich, wo sie sogar erst auf Betreiben der Volksvertretung 
eingeführt worden seien. Allerdings seien sie ursprünglich im Interesse 
der Landwirtschaft eingeführt worden, die gerade während der Erntezeit 
das Bedürfnis der Ruhe habe, aber auch für alle anderen Kreise der Be- 
völkerung bestehe das lebhafteste Bedürfnis nach einer Zeit der Ruhe im 
Hochsommer. Mit dem zunehmenden Wohlstande, der fortschreitenden Ent- 
wickelung des Verkehrs werde sich dieses Bedürfnis immer noch verstärken 
und in weitere Kreise verbreiten. Die meisten Richter seien wirtschaftlich 
nicht in der Lage, etwa im Winter nach dem Süden zu gehen. Es würden 
doch fast alle ir dieselben Monate, nämlich die der Reisezeit im Hoch- 
sommer, ihren Urlaub nachsuchen. Die Besorgung von Vertretern der 
Richter würde ja Sorge der Gerichte sein, aber die Vertretung selbst brächte 
die schwerwiegendsten Uebelstände mit sich, Verschleppungen der Prozesse, 
weil der betreffende Richter sich erst einarbeiten müsse, wechselnde Auf- 
fassung der Rechtslage u. s. w. Jeder häufige Wechsel des Richters schädige 
das Ansehen der Rechtsprechung. Als Mißstand erkenne er an, daß oft- 
mals eilige und klare Sachen auch unter die schwierigen Sachen auf- 
genommen würden. Er habe darüber Erhebungen eingeleitet und werde 
seinerzeit an die entsprechenden Anregungen herantreten. Eine wesentliche 
Erleichterung und Verbesserung würde sich in vielen Fällen dadurch er- 
reichen lassen, daß wenigstens ein erster Termin abgehalten würde, um zu 
einem vorläufig vollstreckkaren Urteile zu kommen. Er wolle ferner bei 
 
	        
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