Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

76 HNas Detsche Reich und seine eineinen Glieder. (März 26. 27.) 
suchter Delegiertentag der konservativen Partei Deutschlands faßt 
folgende Beschlüsse: 
Wirtschaftspolitik. 1. Es wird gefordert, daß die bestehenden Han- 
delsverträge baldigst gekündigt werden. 2. Daß bei Neuordnung unserer 
Handelsbeziehungen die Meistbegünstigung nicht ohne vollkommen gleich- 
wertige Gegenleistungen eingeräumt wird. 3. Es soll nur solchen Han- 
delsverträgen zugestimmt werden, welche unter gleichmäßiger Berücksichti- 
gung aller Fabrikationszweige die Lage der Landwirtschaft wesentlich bessern 
und für ihr Gedeihen ausreichende Grundlagen bieten. 4. Eine Ab- 
schwächung der gegenwärtigen Börsengesetzgebung ist zu verhindern. 
Arbeiterfürsorge und Mittelstand. I. Die konservative Partei treibt 
nicht Sozialpolitik, um die Gunst von Wählermassen zu erlangen und 
macht nicht unerfüllbare Versprechungen, wohl aber will sie die uner- 
schütterlichen Grundsätze des Christentums und deren Betätigung in der 
Gesetzgebung zur Geltung gebracht sehen. II. Die Fürsorge für die wirt- 
schaftlich Schwachen, welche durch die Allerhöchste Botschaft Kaiser Wil- 
helms I. vom 17. November 1881 eingeleitet ist, hat sich nicht nur auf 
die Arbeiter, für die durch Arbeiterschutz= und Versicherungsgesetze in- 
zwischen bereits Bedeutendes erreicht worden ist, zu erstrecken. Der Mittel- 
stand in Stadt und Land (Handwerker, Kleingewerbe, kleiner und mitt- 
lerer Grundbesitz u. s. w.), von dessen Gedeihen die Erhaltung des Vater- 
landes abhängig ist, erscheint auf das höchste gefährdet und ist zum Teil 
unter die wirtschaftliche Lage von Lohnarbeitern herabgesunken. Die für 
den Mittelstand unabweisbaren Maßnahmen sind nicht länger hinauszu- 
schieben. III. Daneben erstrebt die konservative Partei: 1. die weitere 
Ausgestaltung des Arbeiterschutzes, namentlich mit Bezug auf die Arbeit 
der Frauen und Kinder, soweit Gesundheit und Familienleben gefährdet 
erscheinen. 2. Die Verbesserung der Arbeiterversicherungsgesetze, wobei dem 
Plan einer Witwen= und Waisenversicherung ernstlich näher zu treten ist. 
IV. Der konservativen Partei würde das freudige Eintreten für die Ar- 
beiterfürsorge wesentlich erleichtert werden, wenn die Regierungen im Reich 
und in den Einzelstaaten sich ausnahmslos entschließen möchten 1. für die 
Erhaltung und Förderung des Mittelstandes, 2. für einen besseren Schutz 
der nationalen Produktion, 3. gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen 
der, jede göttliche und menschliche Autorität untergrabenden Volksverführer 
zielbewußt und energisch vorzugehen. 
Die Delegierten beraten unter Ausschluß der Oeffentlichkeit, kurze 
Referate werden in der „Kons. Korresp.“ veröffentlicht. Viel besprochen 
wird namentlich ein Vortrag des Abg. Graf Limburg-Stirum über 
die innerpolitische Lage, worin er die Frage, „wie dem Volke die Religion 
zu erhalten sei", mit dem Hinweise auf die Fürsorge für die Kirche und 
Erhaltung der konfessionellen Volksschule beantwortet. Für das Verhalten 
gegen die anderen Parteien proklamiert er Unversöhnlichkeit gegen die 
Sozialdemokratie und ihre Helfershelfer und deshalb Prüfung der frei- 
sinnigen Kandidaten über deren Stellung zur Sozialdemokratie, Einver- 
nehmen mit den übrigen Parteien insonderheit auch mit dem Zentrum, 
mit dem die Konservativen in christlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zahl- 
reiche Berührungspunkte hätten. 
26. März. Das Preußische Abgeordnetenhaus geneh- 
migt die Vorlage über die Gewährung von Wohnungsgeldzuschüssen 
an Staatsbeamte und die Vorlage über Regelung der Landestrauer. 
27. März. (Gotha.) Der Landtag fordert die Regierung
	        
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