Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 14.) 49 
den vier Bürgermeistern sollen zwei von den Städten, die der Städte- 
ordnung nicht unterstehen, gewählt werden. Die vom Großherzog zu 
ernennenden Mitglieder sind auf acht reduziert (wie bisher). Die Er- 
langung der erblichen Landstandschaft soll als Erfordernis haben ein 
Stammgut mit einem Steueranschlag von zwei Millionen statt der in der 
Vorlage vorgesehenen einen Million. Die wichtigste Aenderung an der 
Vorlage ist die Aenderung bezüglich der Erweiterung des Budgetrechts der 
Ersten Kammer. Die Regierungsvorlage sah hier ein völlig gleiches Budget- 
recht der beiden Kammern vor. Diese Forderung lehnte die Kommission 
ab. Sie räumte zwar der Ersten Kammer das Recht ein, über einzelne 
Positionen des Haushaltes und der Finanzgesetzvorlage abzustimmen; bei 
Differenzen hat aber eine erneute Abstimmung der beiden Kammern zu 
erfolgen. Kommt hierbei eine Uebereinstimmung nicht zu stande, so hat 
die Erste Kammer im ganzen über den Entwurf in der von der Zweiten 
Kammer angenommenen Fassung abzustimmen. Lehnt dann die Erste 
Kammer den Entwurf ab, so hat eine Durchzählung der Stimmen der 
beiden Kammern stattzufinden. Der so gefaßte Beschluß gilt dann als 
Beschluß der Landstände. In der Vorlage war sodann das Wahlrecht der 
weiten Kammer eingeschränkt worden, insofern als eine zweijährige 
Karenzzeit sowohl für die Staatsangehörigkeit wie auch für die Ansässig- 
keit in Baden gefordert wird; ferner sollten diejenigen nicht wahlberechtigt 
sein, die im letzten Jahre vor der Wahl mit ihren Staats- oder Gemeinde- 
steuern im Rückstand geblieben sind. Die Kommission beschränkte diese 
Kautelen darauf, daß zur Wahlberechtigung der Besitz der Staatsangehörig- 
keit oder die Ansässigkeit in einer Dauer von mindestens einem Jahre vor 
der Wahl erforderlich ist und daß die Befugnis zur Wahlberechtigung dann 
ruht, wenn der Wahlberechtigte trotz rechtzeitiger Mahnung im letzten 
Jahre vor der Wahl mit der Steuerzahlung gegenüber dem Staat oder 
der Gemeinde in schuldhafter Weise im Rückstand geblieben ist. Eine 
stärkere Aenderung hat die Mitgliederzahl der Zweiten Kammer und das 
Wahlverfahren in den Städten erfahren. Gegenwärtig besteht die Zweite 
Kammer aus 63 Mitgliedern. Die Regierungsvorlage sieht eine Vermeh- 
rung der Mitgliederzahl auf 70 vor; da das Zentrum aber kleinere Wahl- 
kreise und die Erhöhung auf zirka 80 Abgeordnete wünschte, einigte sich 
die Kommission gegen die Stimmen des Zentrums auf 73 Abgeordnete. 
Für die größeren Städte setzten in der Kommission Nationalliberale und 
Zentrum den Proporz durch. Das Gesetz soll gleichzeitig mit dem Gesetz 
über die Wahlkreiseinteilung und das Wahlverfahren am 1. Juli 1905 in 
Kraft treten, vorausgesetzt, daß nicht vor diesem Termin eine Auflösung 
des Landtags erfolgt, so daß die neuen Bestimmungen schon für die neu 
zu erwählenden Kammern in Kraft treten. 
14. März. Im Reichstag teilt Kolonialdirektor Dr. Stübel 
mit, daß die Regierung auf Verlangen des Oberst Leutwein noch 
800 Reiter und 2 Batterien nach Südwestafrika entsenden werde. 
Dem Reichstag werde eine Vorlage um nachträgliche Genehmigung 
der Kosten zugehen. 
14. März. (Lübeck.) Der Senat erklärt auf eine Anfrage, 
der Lübische Vertreter im Bundesrat habe sich seiner Stimme ent- 
halten bei der Abstimmung über den §2 des Jesuitengesetzes. Die 
Bürgerschaft spricht hierüber ihr schmerzliches Bedauern aus. 
Europäischer Geschichtskalender. XLV. 4
	        
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