144 Nas Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 6./15.)
teidigen werden. Darin sollen uns auch die von alter Feindschaft und
Mißgunst unternommenen Versuche nicht beirren, der deutschen Politik
falsche Beweggründe unterzuschieben, Mißtrauen zu säen und insbesondere
die deutsche Friedensliebe zu verdächtigen. (Sehr gut!) Man hat uns
nachgesagt, daß wir nach einem Anlaß suchten, um über Frankreich herzu-
fallen. Warum sollten wir das? Aus Revanche? Wofür? Oder aus
bloßer Rauflust? Das ist absurd. Dann hieß es wieder, wir wollten
Frankreich zwingen, mit uns gegen England zu gehen. Das ist ebenso
absurd. Alle diese und ähnliche Ausstreuungen, alle diese und ähnliche
Lügen erklären sich nur daraus, daß feindselige Stimmungen gegen uns
bestehen, gegen die wir auf der Hut sein müssen. — Dieser Rückblick auf
die Entwickelung der marokkanischen Angelegenheit soll mir nicht den An-
laß bieten, feierlich und in schönen Worten vor diesem hohen Hause, vor
Europa und vor der Welt den friedlichen Grundzug unserer Politik zu
versichern. Denn gerade unsere Haltung gegenüber der Marokko-Angelegen-
heit, wie ich sie in großen Umrissen gezeichnet habe, beweist unanfechtbar,
daß, wenn wir die deutschen Rechte und Interessen zu wahren bestrebt
sind, wir doch auch materielle Schwierigkeiten und diplomatische Gegner-
schaften ohne Mißachtung der Rechte anderer, ohne Provokation, friedlich
zu überwinden trachten. Indem wir das tun, sind wir ganz im Rahmen
der deutschen traditionellen Politik, die seit der Erlangung unserer Einheit
kein höheres Ziel und kein höheres Interesse gekannt hat, als die Kräfte
innerer und äußerer Kultur zu entfalten und allezeit gegen die Schrecken
des Krieges gerüstet zu sein. Wer das noch nicht erkannt hat, der will
es nicht sehen, und da helfen auch rednerische Versicherungen nichts. (Leb-
hafter, anhaltender Beifall.)
7. Dezember. Staatssekretär v. Tirpitz begründet die neue Flotten-
vorlage. Die Auslandskreuzer hätten schon im Frieden als Rückgrat der
Handelsflotte eine wichtige Rolle. Die Vergrößerung des Deplazements
sei durch die Seeschlacht von Tschuschima als nötig erwiesen. Abg. Bebel
(Soz.): Die auswärtige Lage sei nicht erfreulich, und zwar habe die Pro-
vokationsreise nach Tanger sehr ungünstig gewirkt. England und Frank-
reich seien durch die deutsche Politik zusammengeführt worden. Deutsch-
land sei nach Rußland der reaktionärste Staat, wie u. a. das Redeverbot
für Jaurès beweise. Wie ständen die Höfe von London und Berlin mit-
einander? Von Deutschland aus seien die auswärtigen Mächte wiederholt
durch provozierende Aeußerungen gereizt worden, die Sozialdemokratie
allein habe bisher den Weltkrieg verhindert. Die neuen Steuern für die
Flotte würden die Armen bedrücken. Wenn das Land in Gefahr ist, ver-
langen Sie vom Arbeiter, daß er mit Leben und Gesundheit dafür ein-
trete; aber wenn Sie nicht dafür sorgen, daß der Arbeiter leben kann,
dann wird er sich das nächste Mal fragen, ob er es verteidigt, wenn er
aber versagt, dann sind Sie verloren. Abg. Frhr. v. Richthofen (kons.)
will alles zur Rüstung des Vaterlandes Notwendige bewilligen, fordert
aber auch Maßregeln gegen den inneren Feind. Die Sprache der sozial-
demokratischen Presse dürfe nicht geduldet werden.
8. Dezember. Abg. Bassermann (nl.) bedauert die schlechten Be-
ziehungen zu England, die der Grund der gespannten auswärtigen Ver-
hältnisse seien. Ueberall bemühe man sich, Mißstimmung gegen Deutsch-
land zu erwecken, obgleich Deutschland keine offensiven Tendenzen habe.
Die deutsche Presse sei daran nicht ohne Schuld, sie müsse sich in der Kritik
des Auslandes mäßigen. Eine Verhetzung zwischen Deutschland und Eng-
land sei verdammungswürdig. Die deutsche Flottenvermehrung richte sich
nicht gegen England. Die Kritik der Sozialdemokraten sei ungerecht; der