Das NVeutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 6./15.) 145
Volkswohlstand habe sich gehoben, und die auswärtige Politik werde vor-
sichtig geleitet. Auch in der Kolonialpolitik dürfe man nicht nachlassen,
trotz mancher Fehler in Südwestafrika. Die Reichsfinanzreform müsse in
der Kommission genau betrachtet werden, die Verkehrsbelästigungen seien
schädlich, aber eine Wehrsteuer gerecht.
Reichskanzler Fürst Bülow sagt nach einer warmen Anerkennung
der Truppenleistungen in Südwestafrika: So viele andere dringende Auf-
gaben der Lösung harren, aber wir müssen durchhalten, wenn anders wir
die Kolonien nicht preisgeben wollen. Ich glaube mit dem : Abg.
Bassermann, daß durch das Blut, das in Südwestafrika geflossen ist, die
Schutzgebiete nur noch fester mit dem Mutterlande verbunden sind, ich
glaube auch nicht an eine Kolonialmüdigkeit, von der Herr Abg. Kopsch
gesprochen Haa. Ich glaube, daß das deutsche Volk heute noch weniger
eneigt ist, seine Kolonien aufzugeben. Wenn wir aber unseren Besigtz fest-
halten wollen, müssen wir uns auch der Pflicht bewußt werden — und
darin stimme ich ganz mit dem Herrn Abg. Bassermann überein — unsere
Kolonien in einem rascheren Tempo vorwärts zu bringen, damit wir sie aus
einer Last für den Reichssäckel zu einer Stütze für unsere internationale
Stellung, für unsere Weltstellung und für unseren Wohlstand machen.
Und in dieser Beziehung ziehen wir gern aus den Vorgängen in Süd-
westafrika Konsequenzen und Lehren. Ich gebe vollkommen zu, daß auf
kolonialpolitischem Gebiete Fehler begangen sind, grobe Fchler, intra muros
und extra, es hat aber keinen Zweck, darüber nachträglich zu streiten, wie
sie hätten vermieden werden können. Worauf es ankommt, ist jetzt, dahin
zu wirken, daß diese Fehler in Zukunft vermieden werden, um Mißstände,
die vorhanden sind, zu beseitigen, um Hand anzulegen, und vor allem
müssen uns die Vorgänge in Afrika allerdings eine Lehre dafür sein, wie
teuer uns die übertriebene Sparsamkeit zu stehen kommt. Wenn wir
unseren Kolonien nicht die notwendigen Voraussetzungen gewähren, dann
können wir uns auch nicht wundern, daß sich solche Unterlassungssünden
doppelt und dreifach rächen, wie dies der Fall gewesen ist. Wo das An-
lagekapital, wo das Betriebskapital nicht ausreicht, kann ein Unternehmen
nicht rentieren. Ich will auf die Forderungen im einzelnen jetzt nicht
eingehen, aber ich möchte auch meinerseits auf die besondere Wichtigkeit
des Eisenbahnbaues Lüderitzbucht-Kubub hinweisen. Wenn das hohe Haus
diese Vorlage mit möglichster Beschleunigung erledigt, wird es sich nicht
nur den Dank unserer Kolonisten und unserer braven Truppen verdienen,
sondern auch im Sinne einer weisen, weitschauenden Sparsamkeit handeln.
Aus den Vorgängen und Lehren in Afrika sollen wir auch die nötigen
Nutzanwendungen für eine Reorganisation unserer Kolonialverwaltung
ziehen. Es ist gerade ein Jahr her, daß ich von dieser Stelle aus mich
darüber ausgesprochen und ein kolonialpolitisches Programm entwickelt
habe. Damals befanden wir uns noch mitten in Erwägungen, und was
ich sagte, war natürlich mit manchen Vorbehalten und Fragezeichen ver-
sehen. Die einzelnen Punkte haben inzwischen feste Gestalt angenommen,
und ich bin entschlossen, dieses Programm, wie ich es damals fkizzierte,
voll durchzuführen. Von dem, was ich damals in Aussicht gestellt, ist die
Ernennung eines Gouverneurs für das südwestafrikanische Schutzgebiet
heute bereits vollendete Tatsache. Die Umwandlung der Kolonialabteilung
des Auswärtigen Amts in ein Reichskolonialamt, auf die ich noch gleich
zurückkommen werde, finden Sie in dem vorliegenden Entwurf in Vor-
schlag gebracht; die besonders wichtige Trennung von Militär= und Zivil-
verwaltung, die sich sowohl für die Schlagfertigkeit der Truppen als auch
für die Einheitlichkeit der Verwaltung als eine Notwendigkeit erwiesen
Europäischer Geschichtskalender. XLVI. 10