148 Bas Beuische Reich nud seine einzelnen Glieder. (Dezember 6./15.)
zogen war und dessen Ausführung ich, nachdem ohne unsere Schuld die
Marokkofrage einen akuteren Charakter angenommen hatte, angeraten habe,
mit meiner vollen politischen Verantwortung decke. Dieser Besuch hat
dadurch, daß er den internationalen Charakter der Marokkofrage zum all-
gemeinen Bewußtsein brachte, nützlich gewirkt, und indem Seine Majestät
der Kaiser bei diesem Anlaß seine Person für die deutschen Interessen und
das deutsche Ansehen einsetzte, hat er nach meiner Ueberzeugung sich um
das Land verdient gemacht. In der vorgestrigen Rede des sozialdemo-
kratischen Führers ist auch die Angelegenheit Jaures berührt worden. Die
Regierung hat einfach ihre Pflicht erfüllt, ihre Schuldigkeit, indem sie sich
in kritischer Zeit ihre Kreise nicht durch die Sozialdemokratie stören ließ.
Die Frage, ob der Berliner Besuch des Herrn Jaureès nützlich gewirkt
haben würde für die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich,
hängt davon ab, ob einerseits dieser Besuch in Frankreich einen günstigen
Eindruck hervorgerufen, und welchen Mißbrauch andererseits die Sozial-
demokratie in Berlin mit Herrn Jaures getrieben hätte. Was den ersteren
Punkt anlangt, so glaube ich, daß der Besuch damals in Frankreich keinen
allgemein günstigen Eindruck gemacht haben würde, und ich nehme das
Recht für mich in Anspruch, die Vorgänge in Frankreich und die Rück-
wirkung, die diese oder jene Ereignisse auf die Vorgänge dort üben, gerade
so genau beurteilen zu können wie mancher andere. Was aber den Miß-
brauch angeht, den die Sozialdemokratie in Berlin mit Herrn Jaures ge-
trieben haben würde, so ist ja klar, daß die Sozialdemokratie den Besuch
des Herrn Jaurès in Berlin wünschte, um ihn für innerpolitische Ziele
der deutschen Sozialdemokratie auszuschlachten. Die Sozialdemokratie
wollte die Legende verbreiten, als ob sich die Regierung mit kriegerischen,
mit frivolen Kriegsabsichten getragen hätte, aber an der Ausführung dieser
Absichten verhindert worden wäre durch die Sozialdemokratie. Es sollte
das Märchen in Umlauf gesetzt werden, als ob die Regierung nicht im-
stande gewesen wäre, den Frieden mit Ehren zu wahren, dazu hätte sie
der Unterstützung der Sozialdemokratie bedurft. Die Sozialdemokratie
wollte sich als die Retterin des Kapitols aufspielen. In einem Leipziger
Blatt las ich damals die ganz zutreffende Bemerkung: Der Palmwedel,
den die Sozialdemokratie für Herrn Jaures bereit hielt, ist im Grunde
nur ein dürftiges Feigenblatt. Die Entscheidung über die großen Fragen
der auswärtigen Politik, über Krieg und Frieden, liegt nicht bei der sozial-
demokratischen Agitation, die wird nicht von sozialdemokratischen Agitatoren
in der Hasenhaide ausgetragen. Die Entscheidung über Krieg und Frieden
liegt in Deutschland bei denjenigen Faktoren, die dazu verfassungsmäßig
berufen sind. Soweit sind wir nicht gekommen, daß wir uns dies ver-
fassungsmäßige Recht entwinden ließen, daß wir die Entscheidung über die
allerernstesten Fragen, von denen Wohl und Wehe und Zukunft und
Frieden der Nation abhängt, hineingleiten ließen in den Strudel der
sozialdemokratischen Agitation. Solange ich an dieser Stelle stehe, wird
die auswärtige Politik des Landes nicht unter den Willen der Sozial-
demokratie gebeugt werden (lebhafter Beifall), denn die Sozialdemokratie
behandelt die auswärtigen Fragen nicht, wie sie behandelt werden müssen:
lediglich vom Standpunkt der nationalen Interessen, sondern sie behandelt
auch diese Fragen aus dem engen Gesichtswinkel ihres Fraktionsinteresses,
ihrer Parteidoktrin, ihres Parteidogmas. Die Sozialdemokratie oder viel-
mehr die deutsche Sozialdemokratie treibt keine nationale auswärtige
Politik; sie weiß vorläufig nicht einmal, was eine nationale auswärtige
Politik ist, sondern sie ordnet die auswärtigen Interessen des Landes ihren
Parteiinteressen unter. Wenn wir unsere auswärtige Politik solchen Ein-