Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

164 Bie äkerreichischr#u#ns##ische Moenarcie. (Juni 21.) 
der Universitätsfrage erklärt er es für notwendig, die bestehenden Hoch- 
schulen modern auszugestalten; die Regierung werde mit der Forderung 
eines Kredites von 25 Millionen an das Haus herantreten; die Regierung 
beabsichtige außerdem in Mähren zwei neue Universitäten zu errichten, je 
eine für jeden Volksstamm. Die Regierung werde stets bestrebt sein, in 
allen politischen Fragen taktvoll vorzugehen; das Haus möge überzeugt 
sein, daß die Regierung ihre Erklärungen nicht im Sinne irgend eines 
Parteidiktates abgebe. (Anhaltender lebhafter Beifall.) 
21. Juni. (Ungarn.) Abgeordnetenhaus. Konflikt zwischen 
der Regierung und der Mehrheit. 
Vor der Sitzung haben die vereinigten Fraktionen der Opposition 
beschlossen, gegen das Kabinett Fejervary ein Mißtrauensvotum zu bean- 
tragen. Die liberale Partei beschloß eine Erklärung, welche besagt, daß 
die liberale Partei zu dem Ministerium, da dasselbe ein nichtparlamen- 
tarisches sei, kein Vertrauen hege, und es nicht unterstützen werde. Die 
Mitglieder des neuen Kabinetts werden bei ihrem Erscheinen im Saale 
mit Zeichen des Mißfallens empfangen, sonst ist alles ruhig. Der Minister- 
präsident Baron Fejervary überreicht dem Präsidenten das königliche 
Handschreiben, in welchem dem Reichstage die Ernennung des neuen Kabi- 
netts mitgeteilt wird, und verliest dann eine Erklärung über die Umstände, 
unter denen die Ernennung des über den Parteien stehenden Kabinetts 
erfolgt ist. Der Ministerpräsident bezeichnet als Hauptaufgabe des Kabi- 
netts, die Ernennung eines parlamentarischen Ministeriums zu ermöglichen, 
das dem jetzigen baldmöglichst folgen solle, und legt dann verschiedene 
Gesetzentwürfe, betreffend die Indemnitätsbewilligung, die Rekrutierung 
und die Entsendung einer Quotendeputation, vor. Präsident Justh erklärt 
hierauf, das Haus werde bezüglich der Vorlagen verfügen. In dem 
Augenblick bittet der Minister, ein zweites königliches Handschreiben ver- 
lesen zu dürfen. Unter den Abgeordneten entsteht eine große Aufregung, 
weil sie vermuten, daß in dem zweiten Handschreiben die Vertagung des 
Hauses verfügt werden würde, und weil sie diese so lange hinauszuschieben 
wünschen, bis dem neuen Kabinette vom Hause ein Mißtrauensvotum er- 
teilt worden sei. Präsident Justh erklärt, er könne das Handschreiben 
nicht verlesen lassen, da der vorliegende Gegenstand der Tagesordnung, 
die Vorstellung der Minister, noch nicht erledigt sei. Graf Tisza (Führer 
der Liberalen) erklärt, die Ehrfurcht vor dem Könige verlange eine so- 
fortige Verlesung. Auch Graf Julius Andrassy (liberaler Dissident) 
wünscht dieselbe, erklärt aber, das Vorgehen des Ministerpräsidenten selbst 
habe bewirkt, daß der Verlesung des Handschreibens Schwierigkeiten be- 
gegnen. Die Sitzung wird sodann suspendiert. — Nach Wiederaufnahme 
der Sitzung beschließt das Haus mit Mehrheit, daß zuerst der zur Ver- 
handlung stehende Punkt der Tagesordnung erledigt und hierauf erst das 
königliche Handschreiben verlesen werden solle. Der Ministerpräsident er- 
klärt, da der Beschluß dem traditionellen Herkommen widerspreche, so ver- 
lasse er mit den Mitgliedern der Regierung den Saal. Hierauf beantragt 
Abg. Franz Kossuth namens der koalierten Majorität ein Mißtrauens- 
votum gegen das Kabinett, da es unparlamentarisch sei. Graf Tisza be- 
antragt ebenfalls ein Mißtrauensvotum namens der liberalen Partei, das 
sich von dem Kossuths jedoch dadurch unterscheidet, daß es einen Hinweis 
auf die Gefahren enthält, welche aus dem Gegensatz zwischen der Majo- 
rität und der Krone entstehen. Sodann nimmt das Haus mit großer 
Mehrheit den Antrag Kossuths an. Hierauf wird mit der Verlesung des 
zweiten Handschreibens begonnen, durch welches das Abgeordnetenhaus bis
	        
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