Bie Uerreichisch-ungarische Monarchie. (September 17.—22.) 169
rischen Parlament habe die Obstruktion gesiegt, weil die Mehrheit infolge
der engen Begrenzung des Wahlrechts vom Volke vollständig isoliert sei.
Wären die breiten Volksschichten im ungarischen Parlament vertreten ge-
wesen, so wäre das Abgeordnetenhaus niemals dazu gelangt, die teuere
Zeit mit staatsrechtlichen Zwistigkeiten zu vertrödeln. Die staatsrechtlichen
Ideen verlören überall an Bedeutung gegenüber den sozialen Ideen.
In Ungarn aber werde der Begriff Nation ein ganz anderer, als der des
Volkes; das Parlament verirre sich vollständig im Labyrinth staatsrecht-
lichen Haders; die großen Ideen, die das Volk bewegen, blieben ihm völlig
fremd, so die Auswanderungsfrage. Hätten wir eine wirkliche Volksver-
tretung, so würde die klägliche Lage großer Volksmassen, die sie zur Aus-
wanderung drängt, im Parlament zur Sprache kommen, so würden die
Steuerreform, sowie Eisenbahn-- und Kanalbauten begonnen werden. Die
Volksvertretung würde sich mit der Förderung des Handels und der
Industrie befassen, demokratische Grundbesitzpolitik treiben, kurzum, das
Parlament würde seine Ehre darin suchen, die Wohlfahrt der breiten
Volksschichten zu fördern. Da jedoch das Parlament aus dem Kreise der
geringen Zahl der Privilegierten hervorgeht, kümmert es sich nicht um
diese hochwichtigen Interessen, vertieft sich aber mit fanatischem Eifer in
die staatsrechtlichen Streitfragen. Die Erscheinung neuer Elemente im
Parlament, welche das allgemeine Stimmrecht entsenden wird, wird zu-
leich neue Ideen in den Vordergrund stellen; die alten verbrauchten
Ktaatsrechtlichen Schlagworte werden in die Rumpelkammer kommen. Man
wird durch positive segensreiche Arbeit den Beifall der Wählerschaften zu
gewinnen suchen müssen. Das allgemeine Wahlrecht schließt nicht die
Türe vor den nationalen Wünschen und wird für ein segensreiches, erfolg-
reiches Zusammenwirken der Krone und der Nation die feste Grundlage
des parlamentarischen Lebens bilden. Das ganze Land lechzt nach einer
Entwirrung und wünscht eine endgültige, friedliche Entwickelung. Das
allgemeine Wahlrecht reinigt die politische Moral. Die häßlichen Seelen-
käufe müssen aufhören. Auch bei dem allgemeinen Wahlrecht würde das
magyarische Element überwiegen. Das Wahlrecht soll nur denjenigen
erteilt werden, die über 20 Jahre alt sind und Magyarisch (nicht etwa
allen, die ihre Muttersprache) schreiben und lesen können. Das wären
2273881 Wähler. Ausgeschlossen blieben noch 2049085 über 20 Jahre
alte Männer. 52,06 Prozent erhalten das Wahlrecht, 47,4 erhalten es
nicht. Die Ausschließung träfe am stärksten die nichtmagyarischen
Nationalitäten.
17. September. (Eggenburg i. N.-Osterreich.) Der christlich-
soziale Parteitag unter Führung Prinz A. Liechtensteins, Luegers u. a.
protestiert scharf gegen die Preisgebung der österreichischen Interessen
„gegenüber einer gewissen judäomagyarischen Klique“.
20. September. (Gastein.) Die Tauernbahn wird eröffnet
in Anwesenheit des Kaisers.
22. September. (Wien.) Die Gesamtexekutive der Sozial-
demokratie ÖOsterreichs spricht den ungarischen Sozialdemokraten
ihre Sympathie im Kampfe um das allgemeine Wahlrecht aus
und tadelt den Frhrn. v. Gautsch scharf, daß er die Wahlreform
in Ungarn verhindert habe.