14 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.)
wird die Verantwortung für den Streik ausschließlich auf die übertriebenen
Forderungen der Arbeiter geschoben. Wenn die Vertreter der Gruben-
besitzer den Wunsch der Staatskommissare nach gemeinsamen Verhandlungen
mit den Vertretern der Arbeiter ignorieren sollten, so würde ich das gerade
so mißbilligen, wie ich trotz der nach meiner Ansicht verfehlten Recht-
fertigungsversuche des Herrn Vorredners die Einstellung der Arbeit ohne
vorherige Kündigung mißbillige und bedauere. Recht und Unrecht unter
Aufrechterhaltung des allgemeinwirtschaftlichen Gesamtinteresses möglichst
von dem Agitatorischen und Utopischen zu scheiden, bedarf einer sehr sorg-
samen Untersuchung. Um eine solche gerecht vorzunehmen, dazu muß man
sich von parteipolitischen Gründen und Spekulationen freier halten, als es
der Herr Vorredner getan hat. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Da
hört sich doch alles auf!) Ich bin in den Ausführungen des Vorredners
und besonders auch in der bürgerlichen Presse, in Zeitungsausschnitten, die
mir heute vorgelegt sind, Klagen begegnet über die angebliche Rat- und
Machtlosigkeit des Staates. Und dabei tritt bei unserer an die Achtung
vor Krone, Staat und Obrigkeit gewohnten Gesellschaft ein starkes Miß-
trauen hervor gegen die vereinigte Kapitalmacht der großen Zechenbesitzer
und Banken, die bei der Hiberniaangelegenheit sich bemerkbar gemacht hat
und die der Herr Vorredner zu meinem Bedauern ausgiebig herangezogen
hat. Meine Herren, wir stehen vor einem sehr schwierigen Problem, das
in anderen Kulturstaaten ebenso wie bei uns noch der Lösung harrt. Ich
erinnere, ich weise hin auf die Vereinigten Staaten, wo die Syndikats-,
Kartell- und Trustbildung am weitesten fortgeschritten ist, wo eine weise
Zentralverwaltung und ein weiser Präsident schon am Werke sind, den
Staat vor Schaden zu bewahren. Bei uns ist die Aufgabe in einer Rich-
tung erleichtert. Ich denke dabei an die vorbildlichen Werke der deutschen
Sozialpolitik, ich denke an das Gefühl der sozialen Verpflichtung, das die
deutschen Unternehmer die schweren Lasten, Opfer und Kosten der sozialen
Gesetzgebung willig tragen läßt und sich fortgesetzt, das möchte ich besonders
hervorheben, in großartigen freiwilligen Wohlfahrtseinrichtungen für die
Arbeiter betätigt. Aber auf der anderen Seite — würden Sie die Güte
haben, Ihre Bemerkungen vorzubringen, nachdem ich geendet habe —
liegen die Verhältnisse bei uns besonders schwierig. Die Arbeiterorgani-
sationen sind in Deutschland nicht aus einem wirtschaftlichen Bedürfnis
natürlich entstanden (lebhafte Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten), son-
dern sie sind (erneute Unruhe) — lassen Sie mich, bitte, meine Gedanken
ausführen — von dieser oder jener Ausnahme abgesehen, im wesentlichen
Werkzeuge der politischen Parteien (Widerspruch bei den Sozialdemokraten).
Wenn Sie dies bestreiten, so weise ich Sie beispielsweise auf die Hirsch-
Dunckerschen Gewerkschaften hin, bei denen doch gewiß bestimmend das
Motiv war, die Arbeiter gegenüber der Agitation, der genialen Agitation
von Ferdinand Lassalle bei der fortschrittlichen Fahne zu halten. Auch
bei den christlichen Arbeitervereinen spielen Parteiinteressen hinein, und
vollends die sozialdemokratischen Gewerkschaften, sie sollten ja von Anfang
an gar nichts anderes sein als Exerzierplätze und Manöverfelder für eine
Partei des Umsturzes, als eine Schule für die Erziehung der Arbeiter.
Was die englischen Gewerkschaften Großes geleistet haben, das haben sie
geleistet auf rein wirtschaftlichem Boden ohne jedes Ansehen der Partei.
Was bei uns nottut — das betone ich besonders gegenüber dem Herrn
Vorredner, obwohl er bemüht gewesen ist, in seinen Ausführungen den
Sozialisten zurücktreten zu lassen hinter den Bergarbeiter, der Sozial-
demokrat schimmert aber doch durch —, das ist die Emanzipation der in
Berufsvereinen aller Art organisierten Arbeiter von der Parteipolitik und