214 Frankreich. (April 22.—Juni 15.)
Die meisten Blätter bezeichnen die Erklärung als nichtssagend.
Delcassé reicht seine Entlassung ein, nimmt sie aber wieder zurück, da das
Kabinett seine Politik billigt.
22. April. Die Kammer genehmigt mit 509 gegen 44 Stim-
men den entscheidenden Artikel über Trennung von Staat und
Kirche:
„Innerhalb eines Jahres von der Veröffentlichung des gegen-
wärtigen Gesetzes an werden die beweglichen und unbeweglichen Güter der
bischöflichen Mensen, der Kirchenfabriken, Presbyterialräte, Konsistorien und
anderen öffentlichen Kultusanstalten mit allen auf ihnen haftenden Lasten
und Verpflichtungen und mit ihrem besonderen Bestimmungszwecke von
den gesetzlichen Vertretern dieser Anstalten den Gemeinschaften übertragen,
die sich unter Anpassung an die Regeln der allgemeinen Organisation des
Kultus, dessen Ausübung sie zu sichern beabsichtigen, nach den Bestim-
mungen des Artikels 17 für die Ausübung dieses Kultus in den ehemaligen
Bezirken der genannten Anstalten gesetzmäßig gebildet haben werden."“
27. April. (Paris.) Der „Matin“ veröffentlicht einen hef-
tigen Artikel gegen Deutschland, das in Marokko den europäischen
Frieden stören wolle. Da der Artikel für offiziös gilt, verursacht
er eine Panik an der Börse. Delcassé wird deshalb von den meisten
Blättern scharf angegriffen. Die „Agence Havas“ verleugnet den
Artikel.
30. April. (Paris.) Der König von England besucht Paris
und hat Zusammenkünfte mit Loubet und Delcassé.
18./22. Mai. (Lyon.) Ein Ausstand der Polizeibeamten
wegen Ernennung eines unbeliebten Kommandanten führt zu großen
Unordnungen. Der Streik scheitert.
30. Mai—4. Juni. Besuch des Königs von Spanien in
Paris. Am 31. wird gegen ihn ein Bombenattentat von einem
spanischen Anarchisten unternommen, wobei zehn Personen verletzt
werden.
Anfang Juni. Die Presse sieht in dem Vorschlage Marokkos,
eine Konferenz einzuberufen, einen Sieg Deutschlands über Frank-
reich. (Vgl. Afrika.)
6. Juni. (Paris.) Der Minister des Auswärtigen Delcassé
tritt zurück, da das Kabinett seine Marokkopolitik nicht billigt.
Ministerpräsident Rouvier übernimmt das Auswärtige.
15. Juni. Der „Temps“ schreibt über die Beziehungen zwi-
schen Deutschland, England und Frankreich:
„Man hat die Frage aufgeworfen, ob England uns die Regelung
unseres Streites mit Deutschland erleichtern oder ob es im Gegenteil durch
seinen Widerstand oder seine Obstruktion diese Regelung erschweren werde.
Auf diese Frage kann man zweifellos antworten, daß ein Teil der eng-