16 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.)
werden von dem Geiste der Besonnenheit und Mäßigung, den ich allen
Teilen im Ruhrrevier nochmals ans Herz lege. (Lebhafter Beifall. Un-
ruhe links.)
Preußischer Handelsminister Möller: Die Bemühungen der Regie-
rung um eine Vermittlung seien an einem toten Punkt angelangt, würden
aber fortgesetzt werden. Nach diesem Rezept wird auch weiterhin verfahren
werden. (Zurufe bei den Sozialdemokraten: Und die Unternehmer?) Die
Unternehmer haben es abgelehnt, mit den Arbeitern kontradiktorisch zu
unterhandeln. (Zurufe bei den Sozialdemokraten und Lärm.) Das ist im
höchsten Grade zu bedauern (Lachen bei den Sozialdemokraten), aber zu
ändern ist daran nichts, und wer wie ich sich mit Streikangelegenheiten zu
beschäftigen hat, der weiß, daß, wenn man sich einmischen will in den Streik,
ohne gerufen zu sein, man in der Regel von beiden Seiten Prügel be-
kommt. Trotzdem habe ich keinen Augenblick daran gezweifelt, daß wir
einschreiten müssen, und der Reichskanzler ist mit mir derselben Meinung.
Bei einem Streik in dem Hauptkohlenrevier Deutschlands handelt es sich
um Fragen, die unendlich viel wichtiger sind als bei jedem anderen be-
liebigen Streik. Auf jeden Kohlenarbeiter, der streikt, kommt in kurzer
Zeit eine große Anzahl anderer Hände, die mitfeiern müssen. Darum habe
ich, trotzdem ich von vornherein fest davon überzeugt war, von beiden
Seiten angegriffen zu werden, einen Versuch gemacht, schon zu Anfang den
Streik beizulegen. Es ist mir vorgeworfen worden, ich hätte, obwohl ich
die Bewegung habe kommen sehen, still zugesehen. Dieser Vorwurf ist ganz
unberechtigt. Wir haben in jedem Falle, wo Klagen an uns herangebracht
wurden, die unteren Behörden zur Berichterstattung aufgefordert. Wir
haben sie aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen in die Wege zu leiten,
und es ist uns tatsächlich gelungen, auf diesem Wege effektiven Anlässen
zum Streik mit Erfolg zu begegnen. Insbesondere haben wir es fertig
gebracht, Versuchen auf Verlängerung der Seilfahrtzeit mit Erfolg ent-
gegenzutreten. (Zurufe bei den Sozialdemokraten: Bruchstraße!) Wir
haben auch bei der Zeche Bruchstraße alles getan, was nur irgend möglich
war. Als die Verwaltung zu Anfang Dezember eine Verlängerung der
Seilfahrtzeit einführen wollte, haben wir sie darauf aufmerksam gemacht,
daß sie dazu nach der Arbeitsordnung nicht berechtigt sei. Daraufhin ist
damals die Anordnung sofort zurückgezogen worden. Dann hat freilich
die Zeche Bruchstraße am 20. Dezember angekündigt, daß sie am 1. Februar
die verlängerte Seilfahrt einführen werde, und zwar mit dem ausdrück-
lichen Zusatze, daß alle diejenigen, die nicht gewillt seien, darauf einzugehen,
nunmehr genügend Zeit hätten, sich nach anderer Arbeit umzusehen. Es
ist richtig, daß etwa 1100 Arbeiter ihre Zustimmung zu dieser Änderung
versagt haben. Darauf kam der Versuch einer Vermittlung durch das
Oberbergamt. Das Oberbergamt hat die Arbeiter in durchaus korrekter
Weise an das Berggewerbegericht verwiesen; das war unzweifelhaft recht
gehandelt, weil in ihm Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
sitzen, das geeignetste Forum zum Ausgleich. Dann aber ist das ein-
getreten, was die Erfahrung in allen möglichen Ländern gelehrt hat, wo
große Streiks ausgebrochen sind: es ist am anderen Morgen, ehe die Sache
noch vor das Berggewerbegericht kam, der Streik explosionsartig aus-
gebrochen, und jetzt fängt der Moment an, wo Sie (zu den Sozialdemo-
raten) Ihre Leute nicht mehr in der Hand haben. Durch diese Tatsache
haben Sie selbst der Gewerkschaftsfrage eine schwere Niederlage beigebracht.
(Lachen und Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Gewiß, denn jetzt
wird man sagen: Da sieht man ja, die Arbeiterführer haben ihre eigenen
Leute nicht mehr in der Hand. Man hat immer von seiten der Gelehrten