280 Rußland. (September 23.—Oktober Mitte.)
Das Ministerkabinett wird den Zweck haben, die Wirkungskreise aller
Ministerien zu vereinigen. Das Kabinett, das den Namen Ministerrat
führen wird, wird unter dem Vorsitze des Premierministers arbeiten, der
allein neben dem Kriegsminister, dem Marineminister, dem Minister des
Auswärtigen und dem Minister des Kaiserlichen Hofes das Recht haben
wird, dem Kaiser persönlich Vortrag zu halten. Die Ernennung der Minister
erfolgt durch Vermittelung des Premierministers, durch Bestätigung durch
den Keiser. Keine die Verwaltung betreffende Maßregel kann ohne Beschluß
des Ministerrates und die Genehmigung durch den Kaiser in Kraft treten.
23. September. Die Kaiserin-Mutter und die Russifizierung
Finnlands.
Das dänische Regierungsblatt Dannebrog veröffentlicht einen Artikel,
in welchem unter Anführung von Beweisen dargelegt wird, daß die Kaiserin
Maria Feodorowna während der letzten Jahre die gegenüber Finnland
befolgte Politik zu hindern gesucht hat, und daß durch ihr Eingreifen die
Entfernung des Generalgouverneurs Bobrikoff bereits beschlossen und Fürst
Swiatpolk-Mirski zu seinem Nachfolger ausersehen war; daß ferner infolge
ihrer Anstrengungen eine Außerkraftsetzung des Ukas über die Wehrpflicht
geplant war, und daß es ihr über ein Jahr hindurch gelang, die Ein-
räumung der Diktaturgewalt an Bobrikoff zu verhindern, dan aber ihre
Bestrebungen von Plehwe und Bobrikoff durchkreuzt wurden.
26. September. (Moskau.) Ein Kongreß von Delegierten
der Semstwos und Städteverwaltungen erklärt die geplante Duma
für ungenügend, wünscht aber den Eintritt der Liberalen, um die
bürgerliche Freiheit und Gleichheit zu entwickeln. Die Nationali-
täten sollen volle Freiheit ihrer Sprache haben, nur soll die Sprache
von Armee und Flotte russisch sein.
6./11. Oktober. (Moskau.) Streiks und Straßenunruhen
führen zum Einschreiten der Polizei und des Militärs. Mehrere
blutige Zusammenstöße finden statt.
Mitte Oktober. Die Eisenbahner beginnen einen allgemeinen
Ausstand. Bald werden fast sämtliche Bahnen Rußlands lahm-
gelegt. Eine Delegiertenversammlung der Streikenden in Peters-
burg richtet folgende Vorstellung an Graf Witte (24. Oktober):
Die Delegierten sind die wahren Vertreter der Forderungen der
Eisenbahnangestellten und -Arbeiter, sie vertreten das gesamte Eisenbahn-
personal gegenüber den Stellen, von denen Entscheidungen über Fragen
von vitaler Bedeutung auf dem Verwaltungswege entschieden werden könnten.
Alle Forderungen der arbeitenden Klassen müssen aber durch Gesetze ge-
regelt werden, die mit dem Willen des Volkes gegeben und von ganz Ruß-
land genehmigt sind. Es gibt nur eine einzige Lösung, nämlich die so-
fortige Erklärung der politischen Garantien und Freiheiten, sowie die Ein-
berufung einer auf dem Wege des allgemeinen, direkten Wahlrechtes ge-
wählten konstitutionellen Versammlung. Das Land darf nicht zur bewaffneten
Revolution getrieben und es darf kein neues Blutvergießen gestattet werden.
Das Volk hat in der Mandschurei und jetzt in den Städten, Dörfern und
Ortschaften Rußlands genug Blut geopfert. Wenn an dem Rechte der Dele-