Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

          Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 30./31.) 23
 
Dr. Stübel widerlegt diese Behauptungen; der Krieg werde human geführt; 
wer sich freiwillig ergebe, werde angenommen. 
Die Indemnität wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten 
bewilligt. 
              Am 31. werden 1¾ Millionen zur Beschleunigung des Baues der 
Otavibahn genehmigt mit der Bedingung: soweit aus dieser Summe Aus- 
gaben bestritten worden sind, die nicht lediglich durch die Mehrkosten der 
Beschleunigung des Baues verursacht worden sind, sondern zu dauernden 
Ausgaben verwendet werden, sind dieselben zurückzuerstatten. 
             Über die Entschädigung der Ansiedler (vgl. S. 11) erklärt Kolonial- 
direktor Dr. Stübel, die Gesamtverluste der Ansiedler betrügen 13 Mil- 
lionen. Eine ungenügende Unterstützung würde viele Ansiedler zur Aus- 
wanderung treiben und das Schutzgebiet ungeheuer schädigen. Sollte das 
Haus an dem Beschlusse der Budgetkommission festhalten, dann werde die 
Regierung das Bewilligte als Abschlagszahlung benutzen, um Maßnahmen 
zur Beseitigung der dringendsten Notstände zu treffen, und sich vorbehalten, 
in einem demnächst aufzustellenden reicheren Nachtragsetat die nötige Summe 
bereitzustellen, um alle Ansiedler wirklich schadlos zu halten. Abg. Erz- 
berger (Z.): Das Zentrum erkenne den Ansiedlern keinen Anspruch auf 
Entschädigung zu, welche Meinung auch Bismarck 1889 vertreten habe. 
Die im vorigen Jahre in Neu-Guinea geschädigten Missionen seien ja auch 
nicht entschädigt worden. Wer hinausgehe, um Geld zu verdienen, müsse 
auch ein Risiko tragen. Wenn die Ansiedler ein Recht auf Entschädigung 
hätten, weil das Reich nicht genügende Schutzmaßnahmen gegen den Auf- 
stand getroffen habe, so könnte man verlangen, daß der Staat, weil er die 
Oder nicht gut kanalisiert hätte, die durch die letzten großen Überschwem- 
mungen geschädigten Schlesier voll entschädige. Das sei aber nicht ge- 
schehen. Also dürfe man nur Notstandsgelder bewilligen, und drei Mil- 
lionen seien genug. Abg. Kopsch (fr. Vp.): Drei Millionen seien viel zu 
viel; solle man den Ausländern und großen Landgesellschaften Geschenke 
machen? Kolonialdirektor Dr. Stübel: Nach den vom Reichskanzler er- 
lassenen Bestimmungen sollen ausstehende Schulden ebensowenig ersetzt 
werden wie mittelbare Verluste. Die Frage der Entschädigung von Aus- 
ländern ist bis jetzt noch nicht aktuell geworden. Anderseits haben wir, 
wenn wir von anderen Staaten verlangen, daß sie unsere Staatsangehö- 
rigen entschädigen, die Verpflichtung, auch Fremde in unserer Kolonie so 
zu behandeln, wie wir unsere Staatsangehörigen in fremden Staaten be- 
handelt wissen wollen. Was die Entschädigung an Gesellschaften angeht, 
so können nach § 4 der Ausführungsbestimmungen den Gesellschaften nur 
Darlehen gewährt werden und zwar nur dann, wenn sie sich zur Abtre- 
tung von Besitz verstehen. Das hat zur Folge gehabt, daß die Ansiedlungs- 
gesellschaften wohl ihren Schaden abschätzen, aber noch keineswegs sich 
darüber erklärt haben, ob sie sich unter der Bedingung der Abtretung von 
Land überhaupt auf eine Entschädigung in Gestalt eines Darlehens ein- 
lassen wollen. 
              Nach Ablehnung mehrerer Amendements wird der Kommissions- 
antrag mit großer Mehrheit angenommen. Am 1. Februar wird der Rest 
des Etats für Südwestafrika erledigt. 
             30.|31. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) In 
der zweiten Beratung des Justizetats wird eine Vermehrung der 
Richter gefordert. Justizminister Schönstedt erklärt ein schnelleres 
Tempo für ausgeschlossen.
	        
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