Vas Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (April 24. 25.) 95
Regierung aushält, die in der heutigen Krisis der russischen Demokratie
in den Rücken fällt, ist einfach ein ehrloser Lump. Die Dinge liegen hier
zu klar, als daß auf mildernde Umstände plädiert werden könnte.
24. April. (Reichstag.) Präsident Graf Ballestrem sagt
über die Katastrophen in Italien und Amerika:
Meine Herren! Während wir zwar eine kurze, aber durch das herr-
liche Frühlingswetter besonders günstige Erholung hatten, sind über zwei
uns besonders nahe befreundete Nationen (die Mitglieder erheben sich von
den Plätzen) durch elementare Ereignisse überaus schwere Heimsuchungen
verhängt worden. Das uns verbündete Königreich Italien, mit dessen Volk
uns alte historische Beziehungen und gegenwärtig sympathische Gefühle be-
sonders nahe verbinden, ist durch einen ungewöhnlich heftigen Ausbruch
des Vesuv schwer heimgesucht worden. Hunderte von Menschenleben sind
demselben zum Opfer gefallen. Tausende sind an ihrem Eigentum aufs
schwerste geschädigt. Eine blühende Landschaft mit dem schönsten Flecke der
Erde ist unter Lava und Asche begraben — wahrlich eine schwere Heim-
suchung! Aber noch viel schwerer ist das Verhängnis, welches in allerletzter
Zeit das uns herzlich befreundete und stammverwandte Volk der Vereinigten
Staaten von Amerika betroffen hat. Durch ein verheerendes Erdbeben und
eine darauf folgende beispielslose Feuersbrunst ist die Stadt San Francisco,
die Metropole des Westens der amerikanischen Staaten, eine Stadt von
400000 Einwohnern vollständig vernichtet worden. Die Verluste an Men-
schenleben und Eigentum sind zwar noch nicht festgestellt, aber man kann
nach den bisher eingegangenen Nachrichten annehmen, daß die ersteren viele
Tausende und die letzteren viele Hunderte von Millionen betragen, ein Un-
glück, wie es bisher kaum dagewesen sein wird. Meine Herren! Das deutsche
Volk nimmt an den schweren Heimsuchungen der beiden befrenndeten
Nationen den innigsten und schmerzlichsten Anteil (Lebhafte Zustimmung),
und ich bin mir bewußt, im Namen aller Vertreter des deutschen Volkes
zu sprechen, wenn ich von dieser Stelle aus diesen Gefühlen Ausdruck gebe.
(Lebhaftes Bravo.) Sie haben sich, meine Herren, zum Zeichen Ihres Ein-
verständnisses mit dem von mir Gesagten von Ihren Plätzen erhoben. Ich
stelle das fest.
25. April. (Reichstagswahl.) Freisinnige, Nationalliberale
und Sozialdemokraten.
Bei der Ersatzwahl im Wahlkreise Hessen 4 “7
erhalten Stein (ul.) 10315, Korell (freis.) 5808 und Berthold (Soz.
13801 Stimmen. Es findet mithin Stichwahl zwischen Stein und Berthold
statt. — Während der Agitation zur Stichwahl erläßt der Wahlausschuß
der „Vereinigten Liberalen“ folgenden Aufruf: . Wehrfragen, die uns
verpflichten würden, in der Stichwahl für die Nationalliberalen zu stimmen,
stehen nicht auf der Tagesordnung und sind auch in den zwei Jahren, für
die diesmal gewählt wird, nicht zu erwarten. Dagegen verpflichtet uns die
Stellungnahme des nationalliberalen Kandidaten Dr. Stein zu dem aktuellen
Reichssteuergesetzentwurf mit seiner weiteren Vermehrung der ungerechten
indirekten (Verkehrs= u. s. w.) Steuern, ferner die nationalliberale Unzu-
verlässigkeit in der Frage des Wahlrechts und der Erweiterung der Volks-
rechte sowie schließlich die verkehrte Wirtschaftspolitik mit der ausgesprochenen
Begünstigung der künstlichen Verteuerung aller Lebensbedürfnisse und Pro-
duktionsmittel für Arbeiter, Bauer und Mittelstand in Stadt und Land
zu einer entschiedenen Bekämpfung der nationalliberalen Kandidatur. Zu
beachten ist auch, daß die Darmstädter und die hessischen Nationalliberalen