Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Denisqhe Reih und seine einjeluen Glieder. (Juni 22. 23.) 133 
22. Juni. Disziplin in der südwestafrikanischen Schutztruppe. 
Der „Vorwärts“ bringt Aufsehen erregende Berichte über grobe 
Ausschreitungen und harte Kriegsgerichtsurteile in Südwestafrika. Die 
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt dazu: „Die telegraphischen Er- 
mittelungen, welche auf Grund der „Vorwärts"“-Meldungen über ernste 
Fälle von Meuterei in der Schutztruppe von Südwestafrika bei dem Kom- 
mando der Schutztruppe angestellt wurden, ergaben folgendes: 1. Seit 
Beginn des Aufstandes sind Fälle tätlichen Vergreifens an Offizieren nicht 
vorgekommen; 2. für den Norden, nördlich der Linie Obabis-Windhuk 
urteilte das Gericht zwei Fälle von Aufruhr bezw. Meuterei von Mann- 
schaften gegen Offiziere ab. In einem Falle handelt es sich um schwere 
Ausschreitungen von Leuten der 5. Transportkolonne der 3. Kolonnen- 
abteilung. In einer Schlägerei mit einem Manne der Stationsbesatzung 
von Kapsfarm bei Windhuk, in deren Verlauf ein Mann so schwer ver- 
letzt wurde, daß er an den Folgen der Verletzungen starb, versuchte der 
herbeigerufene Wachtmeister, die Leute zur Vernunft zu bringen, und holte, 
da die Leute seiner Aufforderung, auseinanderzugehen, nicht nachkamen, 
eine Patrouille zum Tatorte. Als die Leute angesichts der Patrounille 
dem Befehl, zur Kolonne zu gehen, nicht nachkamen, ließ der Wachtmeister 
die Schuldigen festnehmen und abführen. An dem Wachtmeister und dem 
die Patrouille befehligenden Unteroffizier vergriff sich keiner der Leute. 
In diesem Falle wurden verurteilt zwei Leute wegen schwerer Körper- 
verletzung und wegen militärischen Aufruhrs im Felde zum Tode, zwei 
Leute wegen militärischen Aufruhrs im Felde zu zwei Jahren Gefängnis 
und ein Mann wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Monaten Ge- 
fängnis. Der Mann, welcher dem Reiter die tödlichen Verletzungen bei- 
gebracht hatte, ist freigesprochen worden, da er in Notwehr gehandelt hatte. 
Die Todesstrafe ist noch nicht vollzogen worden, weil die Richter des 
Kriegsgerichts von der Allerhöchsten Gnade die Umwandlung der Todes- 
strafe in eine angemessene Freiheitsstrafe erbaten. — In dem zweiten 
Falle sind nach den telegraphischen Meldungen des Kommandos wegen 
Aufruhrs und Meuterei drei Leute zum Tode und vier zu längerer Ge- 
fängnisstrafe verurteilt worden. Einzelheiten sind eingefordert, aber noch 
nicht eingegangen. 3. Bezüglich der im Süden von den zuständigen Ge- 
richten ergangenen Urteile stehen Meldungen noch aus. Die ergangenen 
Meldungen kommen von amtlicher Stelle erst bei Ueberführung der Ver- 
urteilten in die Heimat zwecks Strafvollstreckung zur Kenntnis. Seit 
Beginn des Aufstandes sind 57 Militärstrafgefangene, einschließlich 11 mit 
dem nächsten Heimtransporte angemeldeten Strafgefangenen, unter denen 
wahrscheinlich auch die im zweiten oben angeführten Falle Verurteilten 
sich befinden, nach Deutschland zum Strafvollzug übergeführt worden. Die 
Zahl kann bei der Stärke der Schutztruppe (jetzt 15000, im ganzen ein- 
schließlich der Heimgekehrten 19000) und bei der Dauer des Feldzuges 
keine hinsichtlich der Disziplin besorgniserregende genannt werden. Die 
Höhe der Strafe findet eine Erklärung in der Schwere der Kriegsgesetze.“ 
22. Juni. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl in 
Hannover-Linden erhält Brey (Soz.) 31803, Fink (nl.) 16865. 
v. Dannenberg (Welfe) 11033, Erzberger (Z.) 2412, Holzgreefe 
(Bd. d. L.) 182 Stimmen. 
23. Juni. (Württemberg.) Die Regierung überreicht dem 
Landtag eine Denkschrift über die Personentarifreform.
	        
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