8 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 15.)
ebensowenig in meinem Heere dulden wie einen Offizier, welcher seine Ehre
nicht zu wahren weiß.“ Dies ist die Richtschnur, welche in der Armee
stets innegehalten ist und die nicht nur in unserer deutschen Armee gilt,
sondern auch in der österreichischen und französischen, die auf derselben
Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht aufgebaut ist. ... Nach der Be-
sprechung des Spezialfalls fährt er fort: Was den zweiten Teil der Inter-
pellation betrifft, so habe ich im Auftrage des Reichskanzlers folgende Er-
klärung abzugeben: Zur Austragung von Ehrenhändeln besteht bei uns die
Sitte des Zweikampfes in weiten Kreisen der gebildeten Stände. Im
Offizierkorps ist der Zweikampf in wirksamer Weise durch die allerhöchste
Verordnung vom 5. Januar 1897 bekämpft worden. Eine weitere Abhilfe
würde aber nur unter gleichzeitiger Aenderung der gesetzlichen Bestim-
mungen über die strafrechtliche Verfolgung von Beleidigungen geschaffen
werden können. Eine solche Aenderung, wie sie ja schon in früheren Inter-
pellationen gefordert wurde, ist ernstlich erwogen worden und wird auch
jetzt noch im Auge behalten. Sie läßt sich aber nicht durchführen ohne
Umgestaltung des Abschnittes des Strafgesetzbuches über Beleidigungen, die
zum Zweikampf führen, und ohne tiefen Eingriff in diejenigen Bestim-
mungen, die die Feststellung der Festungsstrafe und der Geldstrafe be-
treffen. Dies ist nur möglich im Zusammenhang mit der in Vorbereitung
befindlichen Revision des Strafgesetzbuches. Es darf als sicher angenommen
werden, daß bei der Strafrechtsrevision auch diese Frage ihre Erledigung
finden wird. Wie weit eine solche Aenderung auf die zurzeit herrschenden
Ansichten wegen Wahrung der verletzten Ehre von Einfluß ist, muß ab-
gewartet werden. Solange aber der Zweikampf in weiten Kreisen noch
als ein Mittel zur Herstellung der verletzten Ehre gilt, kann das Offizier-
korps in seinen Reihen kein Mitglied dulden, das nicht bereit ist, mit der
Waffe in der Hand seine Ehre wiederherzustellen. (Große Bewegung, leb-
hafte Zurufe.) Nach der Kabinettsorder von 1897 sollte den Zweikämpfen
zwischen den Offizieren in höherem Maße begegnet werden, als es bisher
geschehen war. Die Order hat denn auch so günstig gewirkt, daß im
Jahre 1905 nur ein einziges Duell zwischen zwei aktiven Offizieren statt-
gefunden hat. (Hört! Hört! Zustimmung rechts.) Abg. Himburg (kons.):
Theoretisch sei eine Entlassung wegen Duellverweigerung zu mißbilligen.
Aber solange auf Ehrenbeleidigungen so geringe Strafen ständen, sei das
Duell unausrottbar. Abg. Dove (fr. Vg.): Es sei unerhört, daß der Reichs-
kanzler ablehne, dem Gesetz gegenüber der Sitte Beachtung zu verschaffen.
Abg. Bassermann (nl.): Die Duelle müßten durch höhere Strafen auf
Beleidigungen und durch Ausgleichsverfahren beschränkt werden. Abg.
Bachem (Z.): Das Duell stehe im Widerspruch mit dem sittlichen Rechts-
bewußtsein, ebenso die Erklärung des Kanzlers. Abg. Bebel (Soz.): Das
Duell habe seinen Boden in den exklusiven Kreisen des Offizierkorps und
der Korpsstudenten, daher erklärt sich seine Begünstigung von oben. Abg.
v. Tiedemann (RP.): Das Offizierkorps kann die Duelle nicht entbehren,
weil jeder seine Ehre selbst wahren müsse. In manchen Fällen reicht keine
gesetzliche Sühne aus. Daß das Gesetz dabei verletzt werde, müsse man
auf sich nehmen, auch Zentrumsmitglieder hätten im Kulturkampf Gesetze
nicht befolgt.
Die Erklärung des Reichskanzlers wird in der Presse meist ungünstig
beurteilt. Die „Kölnische Volkszeitung“ schreibt: Der Reichskanzler hat sich
mit seiner Erklärung in einen schroffen Gegensatz zur großen Mehrheit des
deutschen Volkes und des Reichstages gestellt. Es kann nicht ausbleiben,
daß diese Stellungnahme ihre Konsequenzen haben wird. Insbesondere
wird der Reichstag sich ernstlich fragen müssen, ob er nicht die Gelegenheit