166 Nas Veuische Reich und seine einzelnen Glierder. (September 22./28.)
sei ein Massenstreik zugunsten des Friedens nicht möglich, da die große
Aufregung es nicht dazu kommen ließe und die Parteiführer vermutlich
durch das Kriegsrecht verhaftet werden würden. — Korreferent Abg. Legien
beantragt, den ersten Absatz der Resolution Bebel wie folgt zu fassen:
„Der Parteitag bestätigt den Jenaer Parteibeschluß zum politischen Massen-
streik, der mit der Resolution des Kölner Kongresses nicht in Widerspruch
steht.“ — Er polemisiert gegen die Möglichkeit eines baldigen Massenstreiks:
Man glaubt jetzt vielfach, es ließe sich ein Generalstreik für bestimmte poli-
tische Zwecke auch ohne Revolution durchführen. Wie sollte das geschehen?
Entweder müßten wir durch den Generalstreik das Staatsgetriebe lahm
legen. Demonstrieren läßt sich ja in einer Reihe von Industrien schon
heute durch große Arbeitseinstellungen. Aber gerade im Transportgewerbe
und teilweise auch im Nahrungsmittelgewerbe kann davon nicht die Rede
sein. In den anderen Industrien sperren heute die Unternehmer die
Arbeiter aus. Als letztes umfassendes Mittel erkennen wir alle die Arbeits-
einstellung an. Dann wollen wir auch uns das Recht auf die Straße
erkämpfen. Vorher aber ist immer noch die Frage zu lösen, ob das Obijekt
das große Opfer wert ist, das wir bringen müssen.
In der Debatte über die Differenz zwischen dem Parteivorstand und
den Gewerkschaftsführern erklärt Abg. David, eine wirkliche Differenz be-
stehe nicht, da Bebel seit Jena einen Rückzug angetreten habe. Dr. Lieb-
knecht findet dasselbe und verlangt einen Generalstreik, falls Deutschland
in Rußland intervenieren wolle. Abg. Bebel: Selbstverständlich würde in
einem solchen Falle alles aufgeboten werden, um die Intervention zu ver-
hindern; aber die Gefahr liege nicht vor. Die starken deutschen Heeres-
sammlungen an der Ostgrenze sind nur der allgemeinen politischen Situation,
nicht aber einer Interventionsabsicht entsprungen. Das erleben wir ja an
der Ost= und Westgrenze in stets steigendem Maße. Natürlich wünschen
die deutschen Staatsleiter die russische Revolution zum Teufel. Vielleicht
sind auch die Truppen enger zusammengezogen worden, um einen Kordon
gegen russische Ueberläufer zu bilden. Auch die Bankwelt hat man ver-
anlaßt, dem Despotismus unter die Arme zu greifen. Aber von alledem
bis zur bewaffneten Intervention ist doch noch ein weiter Schritt. — Es
werden zahlreiche Anträge gestellt, die sich bald gegen die Gewerkschaften,
bald gegen den Parteivorstand richten. Schließlich wird folgende Kom-
promißresolution Bebel-Legien angenommen: „Der Parteitag bestätigt den
Jenaer Parteitagsbeschluß zum politischen Massenstreik und hält nach der
Feststellung, daß der Beschluß des Kölner Gewerkschaftskongresses nicht im
Widerspruche steht mit dem Jenaer Beschluß, allen Streit über den Sinn
des Kölner Beschlusses für erledigt.“ — Ferner folgende Resolution
Kautsky: „An den Schluß der Resolution Bebel folgenden Passus an-
zuschließen: Um aber jene Einheitlichkeit des Denkens und Handelns von
Partei und Gewerkschaft zu sichern, die ein unentbehrliches Erfordernis für
den siegreichen Fortgang des proletarischen Klassenkampfes bildet, ist es
unbedingt notwendig, daß die gewerkschaftliche Bewegung von dem Geiste
der Sozialdemokratie erfüllt werde. Es ist daher Pflicht eines jeden
Parteigenossen, in diesem Sinne zu wirken.“ — Mit diesen Korrekturen
wird Bebels Antrag mit 386 gegen 5 Stimmen angenommen.
JFerner wird debattiert über Maifeier, Sozialdemokratie und Volks-
erziehung, Kampf gegen den Militarismus, Jugendorganisation.
. Die bürgerliche Presse sieht meist in der Resolution über den Streik
einen Rückzug Bebels und verhöhnt ihn deshalb, der äußerste linke Flügel
der Sozialdemokraten, die Anarchosozialisten, nennen das Kompromiß eine
miserabel gespielte Komödie, ein abgekartetes Spiel.