Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Denishe Reih und seine einjeluen Glieder. (November 14./15.) 185 
Beweis erbracht worden, daß Deutschland eine eminent friedliche Politik 
verfolgt. Auch in Zukunft werden Friedensstörung und Angriff nicht von 
uns ausgehen. Wir erkennen auch ohne Hintergedanken die Stellung an, 
die sich England seit langem und in weitem Umfang in der Welt gemacht 
hat. Daß das keine Redensart ist, beweist unsere Haltung in der ägyp- 
tischen Frage, die der Herr Abg. Bassermann soeben gestreift hat. Fürst 
Bismarck pflegte zu sagen: Wir sind in Serbien österreichisch, in Bulgarien 
russisch, in Aegypten englisch. Auch seit den Tagen des Fürsten Bismarck 
haben wir die günstigen Wirkungen der englischen Mitverwaltung für die 
Entwickelung des Nillandes immer anerkannt und England in Aegypten 
keine Steine in den Weg gelegt, selbst dann nicht, als wir ein formales 
Recht dazu gehabt hätten. Ich meine bei Erlaß der Khedivialverordnung 
von 1904, der wir ohne weiteres unsere Zustimmung erteilt haben. Trotz- 
dem wurden uns später bei dem Akabastreit in französischen und englischen. 
Blättern allerlei dunkle Machenschaften angedichtet. Man war aber auf 
der Hohen Pforte ebenso wie in London genau darüber unterrichtet, daß 
uns schon unser Interesse an der ruhigen Entwickelung des türkischen Reichs 
eine friedliche Beilegung dieses Streites wünschen ließ. Von dem Ver- 
hältnis zwischen England und Deutschland gilt, was Fürst Bismarck ein- 
mal, es war wohl 1868, von der Annäherung zwischen Nord- und Süd- 
deutschland sagte, nämlich, daß die Früchte nicht rascher reifen, wenn man 
eine Lampe darunter hält. Die Herstellung freundlicherer, vertrauensvoller 
Beziehungen zwischen Deutschland und England erfordert Zeit und Geduld, 
denn eine lange Periode der Mißverständnisse liegt hinter uns. Die Nadel 
des Barometers ist glücklich von Regen und Wind auf Veränderlich ge- 
gangen. (Heiterkeit.) Forcieren läßt sie sich nicht. Soll sie auf schön 
Wetter zeigen, so werden wir vor allem hüben und drüben neue Trü- 
bungen und Reizungen zu vermeiden haben. Die Lebensinteressen großer 
Völker müssen hoch über persönlichen Reibungen und Empfindlichkeiten 
stehen. (Sehr gut!) Dies gilt selbstverständlich für beide Länder, es gilt 
auch für jede Rangstufe. Man hat angeblichen persönlichen Verstimmungen 
zwischen den beiden nahe verwandten Fürsten, die an der Spitze des deut- 
schen und des englischen Volkes stehen, zu großes Gewicht beigelegt. Weder 
König Eduard noch Kaiser Wilhelm wird persönlichen Empfindlichkeiten 
Einfluß auf sachliche Erwägungen, die Wahrnehmung der politischen Inter- 
essen ihrer Länder gestatten. König Eduard ist bei uns mit der Achtung 
und Ehrerbietung aufgenommen worden, auf die er nicht nur als Ober- 
haupt des englischen Volkes Anspruch hat, sondern die ihm auch wegen 
seiner staatsmännischen Eigenschaften gebühren. Die Begegnung in Kron- 
berg hat dann auch die guten persönlichen Beziehungen befestigt und in 
der Hoffnung bestärkt, daß sich das Wort bewahrheiten werde, das der 
König 1904 in Kiel ausgesprochen hat: daß die Flaggen beider Nationen 
niemals feindlich gegeneinander wehen sollten. 
Der Abg. Bassermann hat gemeint, daß die Haltung Italiens auf 
der Konferenz von Algeciras unseren Erwartungen nicht entsprochen, daß 
sie uns Grund zur Unzufriedenheit gegeben hätte. Die damalige Haltung 
mancher italienischer Blätter entsprach allerdings nicht dem zwischen Italien 
und Deutschland bestehenden Bündnisverhältnis. Ueber die Haltung der 
italienischen Regierung und insbesondere der Herren Sonnino, San Giu— 
liano, Visconti-Venosta und Guiccardini hatten wir uns nicht zu beschweren. 
Italien befand sich auf der Konferenz von Algeciras in einer schwierigen 
Lage. Zwischen Frankreich und Italien bestanden hinsichtlich Marokkos 
gewisse Verabredungen, von denen wir wissen, daß sie nicht in Widerspruch 
mit dem Dreibundvertrage standen. Wir haben den Italienern sogar in
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.