Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

14 Das PDeuisthe Reich und seine einjelnuen Glieder. (Januar 24./31.) 
Hause mit 163 gegen 60 Stimmen Annahme. In der Nachweisung, die 
dem Hause unter dem 21. Januar 1904 vorgelegt ist, fand sich die Erklä- 
rung, daß der Bundesrat sich über den Antrag noch nicht schlüssig gemacht 
habe. Inzwischen wurde 1903 der neue Reichstag gewählt und dieser da- 
malige Antrag in seinem ersten Abschnitt, den §§ 1 bis 8, wie er vom 
Hause angenommen war, wieder eingebracht, aber erweitert in den 88 9 
bis 14, den vorher von dem Abgeordneten Lieber zurückgezogenen zweiten 
Abschnitt. Dieser Antrag wurde wieder der Kommission überwiesen. Die 
88 1 bis 8 wurden angenommen, die 88 9 bis 14 wesentlich verändert. 
Der Antrag gelangte aber nach der Beratung in der Kommission durch 
den Schluß des Reichstages in der letzten Session nicht mehr zur Be- 
ratung. Inzwischen ist derselbe Antrag, nur mit einer Aenderung des 
8 4, durch den Grafen Hompesch dem Hause wieder vorgelegt. Aus dieser 
Geschichte des Toleranzantrages geht doch eins unzweifelhaft hervor, daß 
nämlich die Auffassung, die die Kommission und die Antragsteller bei der 
ersten Beratung des Antrages hatten, und auch die Auffassung des Hauses 
sich wesentlich geändert hat, denn ein früher zurückgezogener Teil des An- 
trages ist in den neuen Antrag wieder eingesetzt. Es ist das also eine 
wesentliche Verschiebung des Inhalts des gesamten Antrages. Nachdem 
nun der Bundesrat sich über den ersten Antrag vom 21. Juni 1904 bis- 
her noch nicht schlüssig geworden ist und diese Entscheidung unter dem 
21. d. M. mitgeteilt hat, lag doch nach der bisherigen Praxis keine Ver- 
anlassung vor, eine neue Erklärung des Bundesrats abzugeben. Das ge- 
schieht doch nur, wenn eine Aenderung der in der letzten Nachweisung 
bekundeten Auffassung des Bundesrats stattgefunden hat. Außerdem be- 
fand sich der Bundesrat auch materiell in einer ziemlich schwierigen Lage, 
jetzt noch über einen Antrag, den ein voriger Reichstag angenommen hat, 
noch einen Beschluß zu fassen, nachdem der damals angenommene Antrag 
durch einen neuen Antrag ersetzt ist, der einen anderen materiellen Stand- 
punkt zu der Frage einnimmt. Es lag also weder sachlich noch formell 
eine Veranlassung für den Bundesrat vor, eine neue Erklärung zu dem 
Antrage abzugeben. Wenn sich aber auch seit der letzten Nachweisung hin- 
sichtlich der Entschließung des Bundesrats nichts geändert hat, so folgt 
daraus keineswegs, daß der Bundesrat die Sache aus den Augen gelassen 
hat, daß der Bundesrat sich nicht noch entschließen wird. Ich habe mich 
für verpflichtet gehalten, diese Sachlage vollkommen klarzustellen, um dem 
Hause die Ueberzeugung beizubringen, daß kein Versehen und keine un- 
freundliche Handhabung der Geschäfte des Bundesrates vorliegt, sondern 
daß dieser lediglich nach der bisherigen Praxis verfahren ist. 
Abg. Frhr. v. Heyl (ul.): Der Antrag sei unannehmbar, da er die 
Schul= und Kirchenhoheit des Staates ungünstig beeinflusse. Die Miß- 
stände, die noch zuungunsten der Katholiken beständen, seien gering und 
würden hoffentlich bald beseitigt werden. Abg. Henning (kons.): Der 
jetzige Antrag gehe weit über das frühere Maß hinaus und sei deshalb 
nicht annehmbar. Abg. Dr. Müller-Meiningen (fr. Vp.): Die Nadelstiche 
gegen die Katholiken in mehreren Einzelstaaten seien lächerlich. Aber das 
Zentrum selbst sei weder religiös noch staatsbürgerlich tolerant; es benütze 
seinen kirchlichen Einfluß zu politischen Gewalttaten. Redner führt Bei- 
spiele hierfür aus Gerichtsverhandlungen und aus einem mit bischöflicher 
Approbation erschienenen Erbauungsbuche an. Darin werde das Schlimmste 
an Demagogie gegen Andersdenkende geleistet. 
31. Januar. Abg. Frhr. v. Hertling (3.) wendet sich scharf gegen 
Müller. Die bischöfliche Approbation bedeute nicht eine Identifikation des 
Bischofs mit dem Inhalt des Buchs, sondern nur eine allgemeine Empfeh-
	        
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