Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

216 JNas Venuische Reich und seine einzeluen Glieder. (Nov. 28./Dez. 4.) 
Bewegung.) Auch die Eingaben Wistubas an das Auswärtige Amt habe 
Herr Roeren gutgeheißen — also das ist Herr Roeren und das ist Herr 
Wistuba! (Große Heiterkeit.) Den Missionen ist volle Genugtuung ge- 
worden; den verhafteten Patres ist das Bedauern der Verwaltung aus- 
gesprochen worden. Die der Mission erwachsenen Telegrammkosten sind 
auf das Reich übernommen worden. (Stürmische Heiterkeit.) Ein Pater 
wurde wegversetzt und der Domkapitular Hespers hat sich darüber befriedigt 
ausgesprochen, während andererseits natürlich die Abberufung sehr be- 
dauert wurde, „da er noch erhebliches Material habe“. (Heiterkeit.) Alle 
starken Worte und alle Angriffe, daß ich nicht der Sitte gemäß verfahren 
sei, prallen daran ab, daß ich ausschließlich aus den Aktenstücken Dinge 
verlesen habe, die leider passiert sind und die nie wieder passieren werden. 
(Lebhaftes Bravo! rechts.) Ich habe diese Ausführungen auch gemacht, 
weil ich aufs schwerste gereizt worden bin, weil von einem Komplott der 
Beamten gegen die Wahrheit die Rede war, weil die Dinge schließlich so 
dargestellt wurden, daß wir draußen Bestien haben und keine Beamten. 
Diese Eiterbeule mußte aufgestochen werden, ich habe sie aufgestochen, und ich 
trage ganz gern die Konsequenzen. (Stürmischer, andauernder Beifall rechts, 
andauerndes Händeklatschen auf den Tribünen, starkes Zischen und großer Lärm.) 
Hierauf macht der Chef der Reichskanzlei v. Loebell weitere Mit- 
teilungen über den Verkehr Roerens mit dem Auswärtigen Amt. 
Am 4. Dezember ruft Präsident Graf Ballestrem den Abg. Roeren 
wegen seiner gegen den Kolonialdirektor gebrauchten Wendungen zur Ord- 
nung. Abg. Roeren erklärt, er sei im Falle Wistuba allein, ohne Auf- 
trag des Zentrums, vorgegangen und trage die Verantwortung allein. 
Reichskanzler Fürst Bülow: Ich habe den letzten Verhandlungen dieses 
hohen Hauses nicht beiwohnen können; ich bin in diesen Tagen durch 
Sitzungen des Staatsministeriums und anderweitige dringende Amts- 
geschäfte in Anspruch genommen. Aus den Morgenzeitungen habe ich er- 
sehen, daß es gestern zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen dem stell- 
vertretenden Herrn Kolonialdirektor und einigen Mitgliedern dieses hohen 
Hauses gekommen ist. Es ist meine Absicht, keinen Zweifel darüber zu 
lassen, daß ich die Haltung des stellvertretenden Herrn Kolonialdirektors 
und insbesondere seine Verteidigung grundlos angegriffener Beamten und 
seine Abwehr ungerechtfertigter Pression durchaus und nachdrücklich billige. 
(Lebhaftes Bravol rechts.) Ich habe schon vor dem Eintritt des gegen- 
wärtigen stellvertretenden berrn- Kolonialdirektors im Laufe dieses Sommers 
strenge Weisung gegeben, daß die Untersuchung der in der Kolonialverwal- 
tung vorgekommenen Mißstände nach allen Seiten hin unnachsichtig und 
unparteiisch geführt und daß unter keinen Umständen auf Vorwände hin 
irgend etwas in irgend einer Richtung vertuscht werden soll. (Bravo!l) 
Die Offenheit, mit welcher der stellvertretende Herr Kolonialdirektor sich 
über diese Vorgänge ausgesprochen hat, war also lediglich eine Konsequenz 
der von mir erteilten generellen Instruktionen. Er war auch von mir 
ermächtigt, volle Aufklärung zu geben über den Fall Wistuba und über 
die damit zusammenhängenden Fragen, sofern der bedauerliche Gegensatz 
zwischen der Verwaltung und den Missionen in Togo und die Konsequenzen 
dieses Gegensatzes hier zur Sprache gebracht werden sollten. Ich hätte 
gewünscht, meine Herren, daß der Herr Abg. Roeren weniger dem Bei- 
spiele des Herrn Bebel und mehr dem Beispiele seines Fraktionskollegen 
Erzberger gefolgt wäre und nicht so schwere Vorwürfe hier zur Sprache 
gebracht hätte, deren Untersuchung zum Teil noch im Gange ist. 
Abg. Müller-Meiningen (fr. Vp.) tadelt die Versuche, eine Neben- 
regierung zu begründen und ist erfreut über das offene Auftreten Dern- 
 
	        
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