Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 25.) 15
lung. „Der Ausgangspunkt unseres Antrages ist bekannt. Es ist die
Rückständigkeit der Gesetzgebung in den einzelnen Bundesstaaten. Da wir
nicht in der Lage sind, auf diese Bundesstaaten selbst einzuwirken, so
mußten wir die Angelegenheit im Deutschen Reichstage zur Sprache bringen.
Und wir haben das getan in der Weise, daß wir die Freiheit der Reli-
gionsübung, die wir für uns verlangen, unter den Schutz der allgemeinen
Freiheit der Religionsübung stellen. Indem wir dieses tun, haben wir
mit vollem Bewußtsein mit alten Theorien gebrochen. Das Mittelalter
hatte andere Theorien; wir wünschen diese nicht mehr. Ich habe dieses
schon vor zehn Jahren in unserer Literatur ausgesprochen, sehen Sie nur
im Staatslexikon nach, und wiederholt habe ich dieses auch in Versamm-
lungen ausgesprochen, und Sie werden mir wohl zugeben, daß ich von
Index und Syllabus etwas verstehe. Mit Ihren Ausführungen ängstigen
Sie uns nicht. Wir wissen, was wir tun, wir wissen, daß wir damit
neue Sätze aufstellen. Wir wollen keine Freiheit für uns verlangen, die
wir Andersgläubigen verwehren.“
In der weiteren Beratung, in der Abg. Müller erwidert, wird
u. a. namentlich über die Intoleranz der Sozialdemokratie debattiert.
25. Januar. (Preußisches Herrenhaus.) Interpellation
über die Bekämpfung der Sozialdemokratie. Mahnung Bülows.
Graf Eulenburg-Prassen begründet folgende Interpellation: Er-
scheint es der Königlichen Staatsregierung möglich, die vaterlandsfeind-
lichen Unternehmungen der Sozialdemokratie mit den Mitteln der bestehenden
Gesetzgebung erfolgreich zu bekämpfen? — Die zunehmenden Bestrebungen
der Umsturzpartei nötigten zu der Erklärung, daß die sozialdemokratische
Partei nicht die staatsbürgerlichen Rechte in Anspruch nehmen dürfe.
Reichen die Gesetze aus zur Bekämpfung der Sozialdemokratie? Wenn
dies der Fall sei, seien die Interpellanten beruhigt. Ministerpräsident
Fürst Bülow: Er verkenne die Gefahren der Sozialdemokratie nicht und
habe die bürgerlichen Parteien wiederholt darauf hingewiesen. Die staat-
liche Ordnung werde er schützen, wie er in den letzten Tagen bewiesen
habe. „Vor der Tyrannei der Straße beugen wir uns nicht. Durch De-
monstrationen und Drohungen lassen wir uns nichts abtrotzen. Exzesse,
Pöbelexzesse und Revolutionen werden wir in Preußen, in Deutschland
nicht dulden. Die Regierung hält — und damit beantworte ich die in
der Interpellation gestellte Anfrage — die Regierung hält eine Vermeh-
rung ihrer Befugnisse bis jetzt nicht für nötig. Von ihren gesetzlichen
Befugnissen aber wird sie entschlossen Gebrauch machen. (Beifall.) Meine
Herren! Staatsfeindlichen Bestrebungen gegenüber hat aber nicht nur die
Regierung Pflichten. Der Herr Vorredner hat an das Wort der Römer
„cavennt consules“ erinnert, d. h. Reichskanzler ergreife die Offensive, er-
greife außerordentliche Maßregeln, zeige der Revolution den starken Arm
des Staates! Meine Herren! Die Entscheidung darüber, wann der Augen-
blick gekommen ist, an die gesetzgebenden Körperschaften zu appellieren, um
verstärkte Machtmittel gegenüber revolutionären Umtrieben zu fordern,
muß der verantwortlichen Regierung überlassen bleiben. (Beifall und Sehr
richtig!) Anzeichen, Aeußerungen von Nervosität, wie sie hier und da in
der Presse hervortreten, schaden der guten Sache, nützen dem Gegner, in-
dem sie den Glauben erwecken können, als wenn es ihm ein leichtes wäre,
unter dem gegenwärtigen Rechtszustand sein Ziel zu erreichen. Mehr, viel
mehr nützen die Presse und die Parteien der gemeinsamen Sache, wenn
sie angesichts des gemeinsamen Gegners den inneren Streit untereinander
zum Schweigen bringen und den Zusammenschluß aller bürgerlichen Ele-