284 Hie erreichisch-ungerische Monartzie. (Dezember 21.)
Thun und Fürst Karl Auersperg erwarten nichts Gutes von der Neue-
rung. Ministerpräsident Frhr. v. Beck begründet eingehend die Wahlreform
mit der Notwendigkeit, das Interesse der Staatsbürger am Staate zu
steigern. Fürstbischof Jeglik erwartet vom allgemeinen Wahlrecht gleich-
mäßige Entwicklung der Nationen. — Das Gesetz über die Wahl der
Reichsratsmitglieder, die Wahlordnung und Wahlkreiseinteilung wird an-
genommen.
21. Dezember. (Budapest.) Ungarische Delegation. All-
gemeine Lage; Balkan und Italien.
Del. Saphi wünscht freundschaftliche Beziehungen zu den Balkan-
völkern. Er erblickt als Grund einer gewissen Abkühlung des Verhältnisses
zwischen Deutschland und Oesterreich die Wirksamkeit des Alldeutschen Ver-
bandes, die auch auf Ungarn übergreife, und erklärt, daß die offiziellen.
deutschen Kreise doch dem entgegentreten sollten. Die jüngsten Erklärungen
des Fürsten Bülow hätten gewisse Empfindlichkeiten, die in Ungarn be-
standen, beseitigt. Finanzminister Frhr. v. Burian erklärt im Namen des
Ministers des Aeußern Frhrn. v. Aehrenthal, derselbe habe mit Befriedigung
aus der Debatte die Ueberzeugung gewonnen, daß die Grundzüge seiner
Politik die einstimmige Zustimmung der Deputierten fanden. Der Minister
sei in der glücklichen Lage, auf die Erklärungen des italienischen Ministers
des Aeußern Tittoni zu verweisen (Zustimmung), die den Minister natür-
lich mit der größten Befriedigung erfüllten. Er habe sich auch beeilt,
seinem italienischen Kollegen seinen warmen Dank und seinen Beifall aus-
zudrücken. Die Erklärungen des italienischen Ministers bestärkten in präch-
tiger Weise die Erklärungen des Freiherrn v. Aehrenthal, die zwischen den
beiden Ministern des Aeußern die vollständige Identität der Auffassungen
herstellten, die in allen beide Mächte betreffenden Angelegenheiten bestehen.
Beide Minister fassen auch in gleicher Weise die Modalitäten der weiteren
Pflichten dieses Verhältnisses auf. Dieses Einvernehmen erstreckt sich auch,
wie Minister Tittoni richtig bemerkt hat, auf das im Einvernehmen mit
Rußland auf Grund des europäischen Mandates in Mazedonien befolgte
Vorgehen, wobei Italien und die übrigen Mächte entsprechend mitgewirkt
haben. Dasselbe Bestreben, welches die Grundlage alles Vorgehens Oester-
reich-Ungarns bilde, daß nämlich die territoriale Integrität der Türkei
so lange es möglich sei erhalten werde, charakterisiert das mit Italien be-
treffend Albanien zustande gekommene Uebereinkommen, welches ausschließe,
daß Oesterreich-Ungarn oder Italien dieses Gebiet in Besitz nehme. Mit
Recht hat der italienische Minister des Aeußern darauf hingewiesen, daß
in Oesterreich-Ungarn niemand ernstlich an die Möglichkeit eines Zusammen-
stoßes zwischen Deutschland und England denke, und es sei unmöglich,
auch nur vorauszusetzen, daß in dieser zur Lösung so vieler und großer
Fragen berufenen Epoche Kulturnationen einander in aufreibendem Kampf
unermeßlichen Schaden zufügen würden, der ganz Europa schwächen müßte.
Die in beiden Ländern erfreulicherweise wieder zutage tretenden freund-
schaftlichen Bestrebungen hätten den Minister des Aeußern in der Zuversicht
bestärkt, daß es gar nicht notwendig sei, sich mit den Eventualitäten eines
solchen Zusammenstoßes auch nur zu befassen. — Wenn das Verhältnis
zu Serbien nicht so erfreulich sei, als es wünschenswert wäre, so liege das
auch nicht an dem Minister des Aeußern, der allen Balkanstaaten gegenüber
von dem gleichen Wohlwollen erfüllt sei, sondern an der eigenen Stellung-
nahme Serbiens, welches die Bestrebungen des Freiherrn v. Aehrenthal
nicht genügend unterstütze, der präzise zwischen unserem politischen und
volkswirtschaftlichen Verhältnis zu Serbien unterscheide, um ein Ueber-