Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

22 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 6.) 
die die allmächtigen Minister eines absoluten Staates beneiden. Daß im 
Lande unzweifelhaft die Neigung, sozialpolitisch tätig zu sein, auf ab- 
nehmender Linie ist, darüber kann kein Zweifel sein. Es beruht darauf, 
daß die Sozialdemokratie nicht objektiv genug das anerkennt, was der 
Staat und die bürgerliche Gesellschaft auf sozialpolitischem Gebiete getan 
hat. (Zustimmung.) Auch in der Politik ist die strengste Wahrheitsliebe 
und die strengste Gerechtigkeit die beste Taktik. Ich habe schon früher ge- 
sprochen über die Eindrücke, die die Abgesandtschaft der englischen Firmen 
von den deutschen Arbeiterverhältnissen gehabt hat. Ich habe Ihnen er- 
zählt, daß eine Deputation der englischen Arbeiter bei mir gewesen wäre, 
und daß diese Herren geradezu erstaunt gewesen wären über das, was in 
Deutschland für die Arbeiter auf sozialpolitischem Gebiete geschehen ist. 
Die Vertreter der Sozialdemokratie haben darauf gesagt: ja, man habe 
den Arbeitern Potemkinsche Dörfer vorgeführt. Das ist durchaus unrichtig! 
Der Führer der Deputation bat mich, ich möchte die Deputation dadurch 
unterstützen, daß ich die Behörden anwiese, ihnen die betreffenden Institute 
zu zeigen. Diese Herren hatten sich einen ganz genauen Plan gemacht 
über das, was sie prüfen und sehen wollten, und ich war überrascht, mit 
welcher Gründlichkeit dieser Plan ausgearbeitet war. Darauf, was diese 
englischen Arbeiter sehen wollten, habe ich auch nicht die Spur eines Ein- 
flusses geübt. Als die Herren mir für meine Unterstützung dankten, war 
ich geradezu überrascht, welche positiv eingehenden Fragen sie an mich 
stellten, mit welch offenen Augen sie alles gesehen hatten, und welch nüch- 
ternes Urteil sie besaßen. Sie waren außerordentlich überrascht über das, 
was Deutschland für die Arbeiter auf sozialpolitischem Gebiete getan hat. 
(Hört, hört!l) Wenn man sich darüber aufgehalten hat, daß sogar ein 
Bürgermeister die Deputation empfangen habe, so ist das doch ein Akt 
der Höflichkeit gewesen, wie es auch für uns von der Regierung völker- 
rechtlich ein Akt der Höflichkeit war, es ihnen zu erleichtern, die sozialen 
Verhältnisse in Deutschland kennen zu lernen. Sie (zu den Sozialdemo- 
kraten) machen darin in der Tat einen taktischen Fehler. Sie erkennen 
nicht an, was auf sozialpolitischem Gebiete geschehen ist, und deshalb ver- 
stimmen Sie die Regierungen, verbittern Sie die bürgerlichen Parteien und 
täuschen Sie Ihre Anhänger. 
6. Februar. (Bayern.) Die Kammer der Reichsräte ge- 
nehmigt die von der Abgeordnetenkammer abgelehnte Feldzeug- 
meisterei. — Kriegsminister Frhr. v. Horn begründet die Forde- 
rung folgendermaßen: 
Der Grund, die Feldzeugmeisterei abzulehnen, lag zunächst auf dem 
persönlichen Gebiete, indem man geglaubt hat, die Feldzeugmeisterei werde 
errichtet, um eine bestimmte Persönlichkeit dort unterzubringen und um 
für die Artillerieoffiziere, deren Chancen für ein weiteres Avancement ge- 
ringer sind, wie für die anderen Offiziere, wieder Stellen zu schaffen. 
Ferner wurde erwähnt, man könne sich im allgemeinen von der Not- 
wendigkeit der Errichtung der Feldzeugmeisterei nicht überzeugen. Endlich 
hat man geglaubt, auf andere Weise die Selbständigkeit der bayerischen 
Armee zu wahren, wie sie ja früher gewahrt worden sei durch die In- 
spektion der Artillerie und des Trains, wie wir sie bis 1889 hatten. Was 
die Frage betrifft, ob die Errichtung einer Feldzeugmeisterei notwendig sei, 
so darf ich nur darauf hinweisen, daß die Aufgaben, welche die zurzeit 
dem Kriegsministerium unmittelbar unterstellten Verwaltungsbehörden, die 
Inspektion der technischen Institute einerseits und die Inspektion der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.