308 Frankreich. (Januar 20.—Februar 12.)
W. Januar. Dekret über die Pfarrerpensionen.
Danach hat der Geistliche, der eine Pension beansprucht, sich mit
einem Gesuch an den Präfekten seines Departements zu wenden. Der
Präfekt übergibt das Aktenstück mit allen erforderlichen Beilagen einer von
ihm eingesetzten Kommission, deren Mitglieder er ernannt hat. Diese Kom-
mission nimmt das Gutachten des Präfekten dazu zur Kenntnis und gibt
ein Urteil über die Eingabe der Geistlichen und die Bemerkungen des
Präfekten ab. Darauf geht das Aktenstück an den Kultusminister, der sich
seinerseits mit dem Justizminister in Verbindung setzt. — Das Dekret wird
als Verschärfung der Bestimmungen des Trennungsgesetzes aufgefaßt und
in katholischen Kreisen lebhaft angegriffen.
Januar. Unruhen bei der Inventarisierung der Kirchen-
geräte.
Entsprechend den Ausführungsbestimmungen zum Trennungsgesetz
wird den Finanzbeamten vom Direktor der Staatsgüterverwaltung der Auf-
trag erteilt, behufs Inventuraufnahme der Kirchengefäße und Monstranzen
erforderlichenfalls die Kirchentabernakel zu öffnen. Die Erzbischöfe von
Paris, Lyon und Chambéry sowie zahlreiche Bischöfe erlassen deswegen
an ihre Pfarrer ein Rundschreiben, in welchem gegen diese Maßnahmen,
die jedes katholische Gefühl aufs tiefste verletzen müßten, entschieden pro-
testiert wird. Die Pfarrer sollten sich darauf beschränken, den Beamten
die Anzahl und den Wert der in den Tabernakeln verwahrten Kirchen-
gefäße anzugeben, und diese Angabe eventuell mit ihrem Priesterworte
bekräftigen, aber niemals gestatten, daß die Tabernakel geöffnet werden.
Einige Bischöfe gaben ihren Pfarrern den Rat, an dem Tage, an welchem
die Inventuraufnahme stattfinden soll, die Kirchengefäße aus den Tabernakeln
zu entfernen. — In der Oeffentlichkeit wird lebhaft gegen die Inventari-
sierung protestiert. Am 30. beginnt die Inventarisierung; in Paris und
vielen Orten der Provinz finden heftige Demonstrationen gegen die Finanz-
beamten statt; in einigen Kirchen wird die Aufnahme durch die Menge
gewaltsam verhindert.
Januar. Februar. Die Arbeiter der Staatswerkstätten und
Beamtenklassen wie Briefträger und Telegraphisten veranstalten
Kundgebungen für Erlangung des Koalitionsrechts.
8. Februar. (Paris.) Mitglieder des Londoner Grasschafts-
rats werden vom Präsidenten Loubet empfangen. Sympathie-
kundgebungen finden statt.
9. 12. Februar. (Kammer.) Debatte über den Handels-
vertrag mit Rußland.
Abg. Plichon (lib.) lehnt den Vertrag ab. Rußland habe keine
Zugeständnisse gemacht. Die französischen Unterhändler seien ohne Waffen
gewesen und hätten nicht wie die deutschen das Schwert des Kampftarifs
schwingen können. Andrerseits habe Rußland noch französische Kapitalien
nötig. Frankreich sei daher wohl in der Lage, zu unterhandeln. Redner
betont, die von Rußland im Vertrage herabgesetzten Zölle seien noch immer
prohibitiv. Einige Zölle seien sogar hinaufgesetzt. Der Handelsvertrag
sei eine Geschäftssache. Man könne ihn in voller Freiheit besprechen. Die
Freundschaft Frankreichs für Rußland habe damit nichts zu tun. Redner
fordert die Ablehnung der Vorlage. Doumerguec fordert Vertagung der