Frankreich. (Juli 12.—August Mitte.) 321
12. Juli. Der Senat genehmigt mit 265 gegen 2 Stimmen
eine Amnestievorlage.
13. Juli. (Kammer.) Wiederherstellung von Dreyfus und
Picquart; Debatte über Mercier. Schlägerei.
Die Kammer genehmigt mit großer Mehrheit einen Antrag des
Kriegsministers, Dreyfus als Major und Picquart als General in der Armee
wiederanzustellen und beide in die Liste der Anwärter auf den Orden der
Ehrenlegion einzutragen. — Abg. Pressensé bedauert, daß es nicht möglich
sei, General Mercier vor ein Gericht zu ziehen. Er wünsche ihn nicht
körperlich zu züchtigen, aber der Schuldige müsse gebrandmarkt werden.
Er frage, ob man es zulassen wolle, daß man französische Soldaten dem
Befehl von Uebeltätern wie Boisdeffre und Gonse unterstellt. Pugliesi—
Conti (Nationalist) sagt, indem er auf die Ministerbank weist, die Regie-
rung, die zulasse, daß Offiziere in dieser Weise beschimpft werden, sei feig
und verächtlich. Der Unterstaatssekretär stürzt sofort auf ihn und schlägt
ihn heftig ins Gesicht, worauf er ruhig seinen Platz wieder einnimmt,
während sich im Halbkreis Tumult und Schlägerei entwickeln. Brisson
bedeckt sich, verläßt den Saal und läßt die Tribünen räumen. — Nach
Wiederaufnahme der Sitzung bringt de Pressensék eine Tagesordnung
ein, in der die Regierung aufgefordert wird, die an den Fälschungen be-
teiligten Offiziere aus dem Heere auszuschließen und ihnen ihre Ehren-
zeichen zu nehmen. Kriegsminister Etienne versichert, die Regierung sei
entschlossen, jede berechtigte Genugtuung zu gewähren. Die Untersuchung
sei aber noch nicht abgeschlossen. Einige Offiziere seien nur durch die
wirklich Schuldigen auf Abwege geraten.
13. Juli. Der Senat genehmigt mit großer Mehrheit die
Rehabilitationsvorlagen für Dreyfus und Picquart. General Mer-
cier greift die Entscheidung des Kassationshofes scharf an.
21. Juli. (Paris.) Dreyfus erhält das Kreuz der Ehren-
legion.
Ende Juli. Sämtliche Blätter besprechen die Dumaauflösung;
die meisten sprechen sich sehr besorgt über Rußlands Zukunft aus.
Einverstanden mit der Auflösung sind nur „Eclair“ und „Gaulois“.
Ende Juli. August. Französische Truppen besetzen die Oase
Dschanet südlich Tripolis. Die Pforte protestiert, da die Oase zu
Tripolis gehöre.
Anfang August. Streit um die Greisenunterstützung.
Infolge des Gesetzes vom 14. Juli 1905 hat der Staat vom 1. Ja-
nuar 1907 ab einen Beitrag zur Greisenunterstützung (neben Departements
und Gemeinden) zu leisten. Für 1907 setzt ein Erlaß des Ministerpräsi-
denten Clémenceau den staatlichen Zuschuß wegen Geldmangels auf das
gesetzliche Mindestmaß, 5 Francs pro Monat und Kopf, fest (10 Millionen
Francs). Hiergegen erheben radikale Kreise scharfe Angriffe, infolgedessen
erhöht der Ministerrat den staatlichen Beitrag auf 23 Millionen. Eine
Deckung für die neuen 13 Millionen ist nicht vorhanden.
Mitte August. (Paris.) Adresse des Episkopats an den Papfst.
Die Blätter veröffentlichen die Adresse, welche vom französischen
Europäischer Geschichtskalender. XVI. 21