Frankreich. (September Ende—November 5.) 323
freiheit herzustellen, sei durch eine Kommission fremder Prälaten zurück-
gewiesen worden im Gegensatz zu der fast einstimmigen Ansicht des fran-
zösischen Klerus. Die Kirche ziehe es vor, gegenüber dem Liberalismus
der französischen Republik Aufruhr und Bürgerkrieg wiederaufleben zu
lassen, während sie sich gleichzeitig den deutschen Härten unterwerfe. Die
französische Regierung werde aber nicht zurückweichen und keinen fremden
Eingriff in ihre Gesetzgebung dulden. Es sei rätselhaft, warum der
Katholizismus und der Islamismus gerade von der protestantischen Vor-
macht alles Heil erwarten, während Frankreich, das Land der Freiheit,
angefeindet werde.
Ende September. Nach dem „Journal Offieiel“ haben sich
51 Kultusvereinigungen gebildet, davon nur 2 katholische.
Ende September. Der „Figaro“ und andere Blätter be-
haupten, Deutschland suche die persischen Finanzen durch Gewährung
von Anleihen zu verbessern, um der englischen und russischen Politik
Schwierigkeiten zu machen.
14. Oktober. Der Gedenktag der Schlacht von Jena wird
nicht gefeiert; nur wenige Zeitungen bringen Säkularartikel.
14./16. Oktober. (Paris.) Besuch des Lordmayors von London.
Große Verbrüderungsfeste werden gefeiert.
Mitte Oktober. Die „Humanité“, das Organ des soziali-
stischen Abgeordneten Jaures, kommt in finanzielle Schwierigkeiten.
Die französischen Sozialisten bringen zur Sanierung 10000 Francs
auf, die deutschen 250000.
16. Oktober. (Biserta.) Ein Unterseeboot versinkt mit
16 Mann.
18. Oktober. (Paris.) Nach Zeitungsnachrichten verhandelt
der russische Minister des Auswärtigen Iswolski mit Bourgeois
über eine Anleihe.
Oktober. Umbildung des Kabinetts.
Am 18. tritt Ministerpräsident Sarrien zurück, nach Preßbehaup-
tungen, weil ihm die Durchführung des Trennungsgesetzes zu schwierig
sei. Clémenceau bildet am 23. folgendes Ministerium: Präsidium und
Inneres: Clémenceau, Justiz: Gouyot-Dessaigne, Auswärtiges: Pichon,
Unterricht: Briand, Finanzen: Caillaux, Krieg: Picquart, Marine: Thomson,
öffentliche Arbeiten: Barthou, Handel: Doumergue, Ackerbau: Ruau, Mi-
nister für Arbeit und Gesundheitspflege: Viviani, Kolonien: Millies
Lacroix. Das Ministerium für Arbeit ist eine Neuschöpfung; es soll alle
Angelegenheiten umfassen, welche die Regelung der Stundenzahl, der Ge-
sundheitspflege, der Schutzvorkehrungen, der ehiehungen zwischen Arbeitern
und Arbeitgebern, die Berufsgenossenschaften, Krankheits-, Unfall- und
Invalidenversicherung und alle darauf bezüglichen Statistiken betreffen.
5. November. (Kammer.) Ministerpräsident Clémenceau
verliest eine Erklärung über die Politik der neuen Regierung:
Er weist zunächst darauf hin, daß das neue Kabinett nicht aus
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