Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

328 Frankreich. (Dezember 7.) 
Zwischenfälle, die sich in dieser Stadt ereignet haben, lassen befürchten, 
daß die Fremden dort nicht mehr genügende Bürgschaften für ihre Sicher- 
heit finden. Wenn sich die Lage so verschlimmern sollte, daß ernstere Un- 
ruhen ausbrächen, so würde die Bildung der durch die Algeciras-Akte 
vorgesehenen Polizei zu dringender Notwendigkeit werden, und Frankreich 
und Spanien würden Maßregeln zu ergreifen haben, um deren Einrichtung 
zu beschleunigen, nach Maßgabe der Bedingungen, die von den an der 
Konferenz beteiligten Mächten angenommen worden sind. Von dieser Er- 
wägung aus haben die beiden Regierungen beschlossen, nach Tanger See- 
streitkräfte zu senden, die jeder Gefahr begegnen können. Nach Maßgabe 
der Umstände sollen der französische und der spanische Gesandte, nachdem 
sie im Einvernehmen untereinander sich mit ihren Kollegen vom diploma- 
tischen Korps in Tanger darüber verständigt haben, den Oberbefehlshaber 
der Seestreitkräfte um Ausschiffung der zur Aufrechterhaltung der Ordnung 
in der Stadt und ihrer nächsten Umgebung erforderlichen Truppenabtei- 
lungen ersuchen können. Im Falle eines Angriffs mit bewaffneter Hand 
sollen die Gesandten Frankreichs und Spaniens, in Uebereinstimmung 
handelnd, befugt sein, die erwähnte Ausschiffung ohne weiteres zu ver- 
langen, und sollen demnächst ihren Kollegen hierüber Rechenschaft ablegen. 
Der Oberbefehl soll dem ranghöchsten Offizier und bei Gleichheit des Ranges 
dem älteren des einen oder anderen Landes zustehen. Dem Maghzen ist 
sofort vorzuschlagen, unter diesem unerläßlichen, aber rein vorübergehenden 
Schutzzustande die Polizeikorps ins Leben zu rufen. Die Landungsabtei- 
lungen sollen sobald wie möglich wieder eingeschifft werden, spätestens, so- 
bald die Polizei imstande sein wird, in Wirksamkeit zu treten. Die Amts- 
gewalt des Gouverneurs von Tanger soll aufrecht erhalten und der Sultan 
soll ersucht werden, die Ausübung der Gerichtsbarkeit seines Vertreters in 
Tanger und Umgegend unter den früher dafür gültigen regelmäßigen Be- 
dingungen wiederherzustellen. Nur die scherifische Flagge soll auf den 
Gebäuden Tangers gehißt bleiben. Die beiden Regierungen, von dem 
Wunsche beseelt, den Signatarmächten der Algeciras-Akte noch vor deren 
Ratifikation jede Bürgschaft dafür zu geben, daß sie sich bei der Durch- 
führung der ihnen zur Gewährleistung der Sicherheit der Fremden in 
Marokko zuerkannten besonderen Mission dem Geiste der Akte gemäß ver- 
halten werden, legen Wert darauf, ihren Plan den Mächten von vorn- 
herein zur Kenntnis zu bringen, um so den Charakter ihres eventuellen 
Vorgehens außer Zweifel zu stellen.“ 
7. Dezember. Die Kammer genehmigt nach mehrtägiger 
Debatte den Rückkauf der Westbahnen mit 364 gegen 187 Stimmen. 
7. Dezember. (Kammer.) Debatte und Regierungserklärung 
über Marokko. 
Abg. Jaureès (Soz.) interpelliert über die Marokkopolitik und tadelt 
jede kriegerische Politik, auch eine Revanchepolitik für 1870. Nach längerer 
Debatte erklärt Minister des Auswärtigen Pichon: Der Status Marokkos 
ist in Algeciras durch eine Akte entschieden worden. Durch die Erklä- 
rungen meiner Vorgänger ist bereits die Tragweite der Algeciras-Akte 
dargelegt worden. Rouvier hat unsere Rechte als große muselmanische 
Macht betont. Redner verweist auf die von Rouvier im Jahre 1905 in 
der Kammer abgegebenen Erklärungen. Léon Bourgeois hat am 12. April 
1906 das Einvernehmen von Algeciras festgestellt und dabei betont, er 
hätte nicht den Platz, der Frankreich und Spanien gebühre, von einer 
dritten Macht einnehmen lassen können. Die Interessenten haben sich mit
	        
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