Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Frankreich. (Dezember 7.) 329 
dem beschäftigt, was sie im besonderen betraf; insbesondere haben sie die 
Bank von Marokko organisiert, die spätestens zwei Monate nach der Rati- 
fikation der Algeciras-Akte in Tätigkeit treten soll. Redner weist dann 
bezüglich der Organisation der Polizei auf die Entscheidung der Konferenz 
hin, nach der die Vorzugsstellung Spaniens und Frankreichs anerkannt 
wird. Aus Tanger sind uns böse Nachrichten zugegangen. Tanger ist in 
den Händen Raisulis, der abwechselnd Gefangener des Maghzen und 
Straßenräuber ist. Er war es, der Perdicaris gefangen setzen ließ. Seine 
Gerichtsbarkeit erstreckt sich bis vor die Tore von Tanger. Unsere Lands- 
leute sind bedroht. Im Juni wurde Charbonnier ermordet, ohne daß 
seine Mörder ergriffen wären. Der Times-Korrespondent Harris ist letzt- 
hin in seiner Villa angegriffen worden, ebenso sind Seeleute des Galilée 
angegriffen worden. Admiral Campton hat mir telegraphiert, die Jeanne 
d'Arc sei von den Eingeborenen als Zielscheibe benutzt worden, und Kugeln 
hätten den Schiffskörper getroffen; unsere Algerier werden schlecht behandelt, 
und unter der französischen und spanischen Bevölkerung, die 95 Prozent 
der ausländischen Bevölkerung ausmachen, zirkulieren Petitionen. — Der 
Minister verliest hierauf die von dem diplomatischen Korps in Tanger an 
den Maghzen gerichtete Erklärung, die von den Vertretern der Mächte 
unterzeichnet ist. Diese Erklärung protestiert gegen die Gewalttaten und 
die Willkür Raisulis. Eine solche Lage konnte keine der beiden Mächte 
gleichgültig lassen, die beauftragt sind, gemeinsam die Polizei der Stadt 
zu organisieren. Wenn aber die Ruhestörungen Rückwirkungen im ganzen 
Reiche haben würden und wenn Anarchie herrschte, könnte die Polizei 
nicht organisiert werden. Die Verhandlungen sind nicht geheim geführt 
worden, da die Absichten der beiden Regierungen klar, loyal und der 
Algeciras-Akte entsprechend waren. Die Verhandlungen führten zu der 
Entsendung von zwei Kriegsschiffen, die jetzt von anderen ersetzt werden. 
Die unserm Botschafter in Madrid erteilten Instruktionen besagten, daß 
es in Anbetracht der Lage in Tanger und der Schwäche der Regierung 
unklug wäre, für den Fall, daß ein Gewaltstreich in Tanger verübt würde, 
eine französische Aktion in Aussicht zu nehmen, die in vielem eine Ver- 
ständigung abschwächen würde. Dieses Einverständnis wurde abgeschlossen 
und allen Mächten mitgeteilt. Der Minister verliest dann das französisch- 
spanische Einvernehmen und fügt hinzu, diese Note sei nirgends auf Ein- 
wendungen gestoßen. Die beiden Regierungen würden zu nichts anderem 
sich herbeilassen, als auch sich gegen die Gefahren der Anarchie zu schützen. 
Die Regnault erteilten Instruktionen besagen, nur in dringenden Fällen 
und nur im Falle einer absoluten Notwendigkeit dürfte eine Intervention 
erfolgen. Die dem Gouverneur von Algerien und dem französischen Ver- 
treter in Marokko erteilten Instruktionen müssen gleich sein. Wir haben 
so einen Beweis unserer Mäßigung gegeben, denn unsere Aktionsfreiheit 
war in Anbetracht des deutsch-französischen Abkommens, das der Algeciras- 
Akte voranging, ein gerechtfertigtes. Trotz der schlechten Nachrichten ließen 
wir von unserer Mäßigung nicht ab. Der Minister erinnert daran, daß 
am 20. November 1903 Jaureès eine ausgezeichnete Rede gehalten habe, 
in der er sich für eine friedliche Annäherung ausgesprochen hat. Er, 
Pichon, wolle keinen Vergleich zwischen Tunesien und Marokko aufstellen. 
Es seien aber dieselben muselmanischen Bevölkerungen, die einer guten 
Behandlung und Beweisen der Güte wohl zugänglich sind. Die marokka- 
nischen Stämme sind nicht kriegerisch gesinnt, sondern eher darauf bedacht, 
in Handelsgeschäften hinreichenden Verdienst zu finden. Aber die Garantie 
zu Handelsgeschäften ist die Organisation der Polizei durch Frankreich und 
Spanien. Es ist für mich eine große Befriedigung, daß ich das Ein- 
 
	        
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