Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Italien. (April 24.) 337 
die Konferenz verlassen, und ein neues glückliches Blatt des Friedens 
wurde für Europa und die Zivilisation geschrieben. Ich weise auf die ge— 
rechten Worte der Anerkennung hin, die in anderen Parlamenten den 
Vertretern der Nationen gewidmet worden sind. Italien muß besondere 
Dankbarkeit gegenüber Visconti-Venosta empfinden, der, ein Berater und 
Dolmetsch des Gedankens der Regierung, mit Erkenntnis der Schwierig- 
keiten und mit klarem Blick für den zur Erreichung des gewünschten Zieles 
einzuschlagenden Weg einen zweifachen Dienst dem Lande, dessen Vertreter 
er war, und der Sache der internationalen Einigung erwiesen hat. — Die 
Richtung, die wir in der internationalen Politik befolgen, ist dieselbe, 
welche in ihren Hauptzielen mehrere Male die Zustimmung und Billigung 
des Landes gefunden hat, und welche der Ministerpräsident in seiner Er- 
klärung vom 8. März in folgenden Worten zusammenfaßte: „In herzlicher 
Treue zum Dreibunde werden wir die traditionellen innigen Beziehungen 
zu England und die aufrichtige Freundschaft mit Frankreich aufrecht er- 
halten, zudem wir die Politik fortsetzen, die darin besteht, in dem Konzert 
der Völker die Rolle der Eintracht und des Friedens zu spielen. Es gibt 
keine neue internationale Lage, es gibt keinen Grund, der dazu raten 
könnte, diese Richtung zu ändern, die nicht nur unseren nationalen Inter- 
essen nützlich ist, sondern auch dem Gleichgewicht und der Ruhe Europas.“ 
— Das Schauspiel unserer auswärtigen Politik ist der Friede, der die 
Bedingung für die Sicherheit und die Entwicklung Italiens bildet. Diese 
Bedingungen sind bekannt und haben viele Male die Zustimmung des 
Parlaments und des Auslandes gefunden. Ich begnüge mich infolgedessen 
damit, daran zu erinnern, daß es für Italien unumgänglich notwendig ist, 
daß der status quo auf dem Balkan gewahrt bleibe und daß dort keine 
Aenderung zu unserem Nachteile eintritt, besonders nicht in dem Teil, der 
für das Gleichgewicht am Adriatischen Meere von Interesse ist; ebenso ist 
es unerläßlich, daß unsere Interessen in Afrika in wirksamer Weise ge- 
wahrt werden, besonders hinsichtlich dessen, was sich auf die Lage Italiens 
im Mittelländischen Meere bezieht. Es ist gewiß, daß diese Interessen, 
die von so wesentlicher Bedeutung für die Sicherheit und für die Zukunft 
unseres Landes sind, in einer Politik ihre Verteidigung finden, die als 
Grundlage den Dreibund hat. Diese Politik war für ein Vierteljahr- 
hundert eine sichere Grundlage für die Ruhe Europas. Sie hat nicht 
verhindert und hat sogar in gewisser Beziehung es den drei Verbündeten 
erleichtert, mit anderen Mächten besondere Uebereinkommen zu treffen, die 
ein System gegenseitiger Verpflichtungen geschaffen haben, durch das ein 
Streit ausgeschlossen ist, und das in der Sache des Friedens eine neue 
Bürgschaft bildet. Was insbesondere Italien betrifft, so ist der Dreibund 
eine Garantie für unsere Interessen auf dem Balkan. In der Tat sichert 
uns, was Makedonien betrifft, der Dreibund, wie schon mein Vorgänger, 
Herr Tittoni, in der Kammer erklärt hat, gegen jede ohne uns vorge- 
nommene Aenderung, und was Albanien angeht, so bietet uns ein Sonder- 
abkommen mit Oesterreich-Ungarn, das ein Zusatz zu den Bündnisverträgen 
ist, eine Sicherheit gegen Aenderungen, die das Gleichgewicht an der Adria 
berühren würden. Diese Politik war im gleichen Maße für unsere Inter- 
essen im Mittelmeer von Vorteil, die eine vollständige Deckung in dem 
Abkommen mit Frankreich und der Verständigung mit England gefunden 
hat. Diese Politik findet mithin ihre volle Berechtigung in unseren wesent- 
lichsten Interessen. Die Zweifel, die aufgetaucht sind, um zu unterstellen, 
daß diese Politik jetzt abgeschwächt sei, sind unbegründet. Tatsächlich sind 
unsere Beziehungen zu Oesterreich-Ungarn sehr herzlich, wie das gegen- 
seitige Vertrauen beweist, das die Beziehungen zwischen den Regierungen 
Europäischer Geschichtskalender. XLVII. 22 
 
	        
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