374 Rußland. (April 30.—Mai 8.)
ratur, Geschichte und Geographie Rußlands soll jedoch die russische
Unterrichtssprache auch in diesen Privatanstalten obligatorisch bleiben.
30. April. Der Reichsrat bewilligt 7½ Millionen Rubel
zur Durchführung umfassender Truppendislokationen zum Zwecke
der Verhütung von Bauernunruhen.
Anfang Mai. Es wird bekannt, daß der Pope Gapon,
1905 Führer der Arbeiter, von Revolutionären ermordet worden
ist, weil er in den Dienst der Polizei getreten sei.
Anfang Mai. Bombenattentate und überfälle auf Truppen
finden mehrfach statt. So wird der Generalgouverneur von Je-
katerinoslaw getötet, der von Moskau verwundet; bei Riga werden
einer Truppe Gewehre geraubt.
5. Mai. Ministerpräsident Graf Witte und Durnowo, der
Minister des Innern, treten zurück. "
6. Mai. (Petersburg.) Der Kongreß der konstitutionell-
demokratischen Partei erklärt als sein Programm:
Individuelle Unverletzlichkeit und Gleichheit für alle Bürger ohne
Unterschied der Nationalität, der Religion, des Geschlechts und des Standes;
Einführung eines Wahlverfahrens mit allgemeinem, gleichem und direktem
Stimmrecht in geheimer Abstimmung ohne Unterschied des Geschlechtes,
ebenso für die nationale Vertretung wie für die lokale Selbstverwaltung;
gesetzgeberische Regelung der Agrarfrage; unverzügliche Inangriffnahme
von Maßnahmen betreffend die Arbeiterfrage und Befriedigung der recht-
mäßigen nationalen Forderungen.
8. Mai. Ein kaiserlicher Ukas sanktioniert das Reichsgrund-
gesetz. Es lautet:
Das russische Reich ist einheitlich und unteilbar. Das einen in-
tegrierenden Bestandteil des russischen Reiches bildende Großfürstentum
Finnland wird, auf Grund einer besonderen Gesetzgebung, durch besondere
Institutionen verwaltet. Die russische Sprache ist Reichssprache und in
den staatlichen und kommunalen Institutionen, sowie bei der Armee und
Flotte obligatorisch. Der Gebrauch der örtlichen Sprachen und Idiome
wird durch besondere Gesetze geregelt. Dem russischen Kaiser steht die
oberste selbstherrliche Gewalt zu. Gott selbst hat befohlen, daß man seiner
Gewalt nicht bloß aus Furcht, sondern auch dem Gewissen nach gehorchen
muß. Die Person des Kaisers ist heilig und unantastbar. Die gleiche
oberste selbstherrliche Gewalt steht der Kaiserin zu, wenn, auf Grund der
dafür festgesetzten Ordnung, eine Frau den Thron besteigt. Ihr Gemahl
gilt jedoch nicht als Herrscher; er genießt die Ehren und Vorzüge der
Gemahlin eines Herrschers, entbehrt aber des Titels. Der Kaiser übt die
gesetzgebende Gewalt im russischen Reich gemeinschaftlich mit dem Reichsrat
und der Reichsduma aus. Der Kaiser hat die Initiative in allen gesetz-
geberischen Arbeiten. Einzig auf seine Initiative hin können die Grund-
gesetze in der Reichsduma und im Reichsrat revidiert werden. Dem Kaiser
ist die Bestätigung der Gesetze vorbehalten; ohne seine Bestätigung kann
kein Gesetz Gültigkeit erlangen. Der Kaiser ist der oberste Leiter der aus-