380 Kußland. (Mai 26.)
geringe Bedeutung mißt der Ministerrat dem angeregten Gesetz betreffend
die Unantastbarkeit der Person, des Gewissens, der Preß-, Versammlungs-
und Vereinsfreiheit bei, doch hält er es für nötig, bei der Ausarbeitung
solcher Gesetze die Verwaltung mit wirksamen Mitteln auszurüsten, damit
die Regierung dem Mißbrauch der gewährten Freiheit vorbeugen bezw.
entgegenwirken kann. In bezug auf die Lösung der Agrarfragen mit Hilfe
der Apanage, der Kabinetts, der klösterlichen und der kirchlichen Ländereien
und zwangsweisen Enteignung des Privatgrundbesitzes, wozu auch der
Privatgrundbesitz der Bauern gehört, hält es der Ministerrat für seine
Pflicht, zu erklären, daß eine derartige Lösung unbedingt unzulässig ist.
Die Regierung kann das Besitzrecht nicht einem nehmen und dem anderen
zugestehen. Das Recht des Privatgrundbesitzes bestreiten wir nicht. Die
Unantastbarkeit des Eigentums bildet in der ganzen Welt und in allen
Stadien der Entwickelung des bürgerlichen Lebens den Eckstein des Volks-
wohlstandes und den Grundpfeiler des Staatslebens. Bei den dem Staate
zur Verfügung stehenden Mitteln und weitgehenden Anwendung der gesetz-
lichen Mittel kann die Agrarfrage zweifellos unter Wahrung der Interessen
des Vaterlandes erfolgreich gelöst werden. Die übrigen von der Duma
erwähnten Gesetze betreffend die Verantwortlichkeit der Minister und Be-
seitigung des Reichsrates hält der Ministerrat nicht für berechtigt, weil sie
eine radikale Abänderung der Grundgesetze bedingen, die nicht der Auf-
sicht der Duma unterliegen. Die Regierung erkennt ebenfalls an, daß die
Ausnahmegesetze nicht imstande sind, in außerordentlichen Fällen die Ruhe
und Ordnung zu sichern. Die Minister arbeiten daher an vollkommeneren
Maßnahmen. Wenn die Ausnahmegesetze trotz ihrer Unvollkommenheit
in letzter Zeit in vielen Gegenden angewandt werden, so liegt die Ursache
ausschließlich in den andauernden Morden und Gewalttaten und in dem
Bewußtsein der Verantwortlichkeit vor dem Lande. Der Ministerrat er-
klärt, daß, so lange die Wirren andauern, und die Regierung nicht über
durch neue Gesetze geschaffene wirksame Mittel verfügt, der Gesetzlosigkeit
entgegenzutreten, die Wahrung der Ordnung und Ruhe mit den vor-
handenen gesetzlichen Mitteln erfolgen wird. Die Begnadigung vom Ge-
richte Verurteilter, welcher Art ihr Vergehen auch ist, bildet die Prärogative
des Monarchen. Der Ministerrat findet, daß es nicht das Wohl der Ge-
sellschaft fördern würde, wenn bei Andauer der Wirren an Morden und
Gewalttätigkeiten beteiligte Personen amnestiert würden. Was die auf
administrativem Wege der Freiheit beraubten Personen betrifft, hat der
Ministerrat Maßnahmen angeordnet, damit Personen, welche die öffent-
liche Sicherheit nicht bedrohen, freigelassen werden. Zunächst erscheint die
Bauernfrage zurzeit als die wichtigste, und der Ministerrat erkennt die
Notwendigkeit an, sie mit besonderer Sorgfalt und Vorsicht zu lösen. Die
ständische Abgesondertheit der Bauern wird nach Heranziehung der Be-
völkerung zu der gesetzgeberischen Tätigkeit der Gemeinsamkeit mit den
anderen Ständen Platz machen. Auch alle Beschränkungen des Besitzrechts
auf Landanteile müssen in Wegfall kommen. Gleichzeitig sind Maßnahmen
zu ergreifen zur Aufbesserung der bäuerlichen Landnutznießung und zu der
Vergrößerung des Ackerlandes landarmer Bauern durch Vermittelung der
Bauernagrarbank. Der Ministerrat wird ferner der Duma den Entwurf
zu einer Reform der Mittelschulen und Hochschulen einbringen. Die vom
Kaiser verkündigten Reformen sind undenkbar, so lange im Lande Gesetz-
mäßigkeit und Recht nicht eingebürgert sind. Der Ministerrat stellt in den
Vordergrund die Frage über die Schaffung der örtlichen Gerichte auf Grund-
lagen, welche die Prozeßordnung vereinfachen. Auch einen Entwurf über
die Verantwortlichkeit der Amtspersonen wird der Ministerrat der Duma