Rußland. (Mai 29./Juli 20.) 381
vorlegen. . . . Weiter kündigt Goremykin Entwürfe an betreffend die Ein-
kommensteuer und Erbschaftssteuer sowie eine Revision einiger indirekten
Steuern und des Paßreglements. Die Regierung sei von der Ueberzeugung
durchdrungen, daß die Festigkeit des Staates nach außen und seine Kraft
im Innern auf der gesetzmäßigen, aber festen Tätigkeit der Exekutivgewalt
beruhe. Die Regierung beabsichtige, eine solche unbeugsam zu zeigen im
Bewußtsein der Verantwortlichkeit vor dem Thron und dem Lande. Der
Ministerrat hege die Ueberzeugung, die Duma werde in der Erkenntnis,
daß das friedliche Gedeihen des Staates von der vernünftigen Vereinigung
von Freiheit und Ordnung abhänge, durch ruhige und schöpferische Arbeit
dabei mitwirken, daß die dem Lande so nötige Beruhigung in alle Schichten
der Bevölkerung dringe.
In der darauf folgenden Debatte wird die Regierung von allen
Rednern heftig angegriffen. Roditscheff: Die alte Politik, die durch Ver-
gewaltigungen Verbrechen hervorrufe, dauere hiernach fort. Anikin: Die
Bauern forderten Land und Freiheit, die Regierung verweigere beides.
Aladyn droht mit einer furchtbaren bäuerlichen Revolution. Professor
Kowalewsky: Der Grundsatz der Unbverletzlichkeit des Eigentums ver-
leugne das Andenken an den Zar-Befreier. Graf Heyden: Das jetzige
Ministerium stelle sich in Gegensatz zu der Regierung, welche sich vor einem
Jahre zugunsten der Abschaffung der Ausnahmegesetze ausgesprochen habe,
und mache friedliche Arbeit unmöglich. — Hierauf nimmt die Duma gegen
7 Stimmen eine Resolution an, in welcher die sofortige Entlassung des
Ministeriums und seine Ersetzung durch ein Ministerium gefordert wird,
das zusammengesetzt ist aus Männern, die das Vertrauen der Mehrheit
der Dumg genießen.
29. Mai bis 20. Juli. (Duma.) Beratung der Agrarfrage.
Abg. Skirnumt (Pole) erklärt die Landverteilung an die Bauern
für sehr gefährlich, weil die Arbeiter in den Städten dann Land und
Fabriken fordern würden. Abg. Pawlow (Bauer) wünscht eine Bitte an
den Kaiser um Land zu richten. Abg. Professor Herzenstein verlangt
Zwangsenteignung zugunsten der Bauern; die bäuerliche Bildung sei zu
heben wie in Dänemark. — Die Regierung lehnt die Zwangsenteignung
als rechtlich unzulässig ab. (30. Mai.)
1. Juni. Rogg, Erzbischof v. Wilna: Zwangsweise Enteignung
würde einen Bürgerkrieg in jedem Dorfe hervorrufen. Nasarenko: Die
Bauern würden die Agrarfrage selbst mit Gewalt lösen und die Vereini-
gung großen Grundbesitzes in Einer Hand verhindern. — Am 12. Juni
verkündet Aladin, das russische Volk werde alle Länder mit Beschlag be-
legen und hierauf durch eine neue Volksvertretung der vollzogenen Tat-
sache eine juristische Form geben lassen. Am 14. Juni wird beschlossen,
jedem Redner nur 10 Minuten Redezeit zu gewähren. Abg. Nakonetschny
(Pole) fordert Wahrung des Eigentumsrechts, Galatsky unbeschränkte
Enteignung. Am 18. wird eine Kommission von 99 Mitgliedern zur Be-
ratung der Agrarfrage eingesetzt.
21. Juni. Die Duma lehnt es ab, einen Antrag von 33 Sozia-
listen, der die Abschaffung jedes Privateigentums verlangt, einer Kom-
mission zu überweisen.
Am 17. Juli erstattet die Kommission Bericht über das Regierungs-
kommuniqué in der Agrarfrage. Die Linke lehnt es ab, weil es gegen
die Zwangsenteignung sei.
Am 19. Juli beantragt die Arbeitergruppe, in einem Aufrufe das
Volk aufzufordern, die Duma im Kampfe gegen die Regierung zur Lösung