Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 9.) 31 
der Branntweinsteuer in die ländlichen und wirtschaftlichen Betriebe. Wälzt 
der Handel die Lasten ab, so wird der Konsument noch mehr belastet, 
können die Lasten aber nicht abgewälzt werden, so hat der Mittelstand tief- 
eingreifende Schäden zu erwarten. Den Antrag Müller-Fulda lehnt Redner 
im Hinblick auf die neuen Handelsverträge auch ab. — Die Regierungs- 
vorlage wird einstimmig abgelehnt, der Antrag Müller-Fulda wird mit 
17 gegen 8 Stimmen angenommen. Dagegen stimmen Sozialdemokraten 
und Freisinnige. 
9. Februar. (Baden.) In der Zweiten Kammer erklärt 
Staatsminister Frhr. v. Dusch gegenüber einem liberalen Abgeord- 
neten über das liberal-sozialdemokratische Wahlbündnis (1905 
S. 124): 
Der Herr Abg. Binz hat einen sehr wesentlichen Teil seiner Aus- 
führungen dem wahltaktischen Bündnisse der Liberalen mit der Sozial- 
demokratie gewidmet. Er hat erklärt, die nationalliberale Partei sei eine 
unabhängige Partei, sie habe die Regierung nicht gefragt, was sie machen 
solle, und die Regierung habe auch die nationalliberale Partei nicht ge- 
fragt. Ich kann das, ungeachtet der Anfechtung dieses Standpunktes durch 
den Herrn Abg. Fehrenbach, nur bestätigen, und ich glaube, es wird sich 
auch der Herr Abg. Fehrenbach noch im Laufe der Verhandlungen bis zu 
einem gewissen Grade überzeugen lassen, daß in der Tat die Regierung 
diesem wahltaktischen Bündnisse zwischen der liberalen Vereinigung und 
der Sozialdemokratie vollkommen fern gestanden hat. Ich will auf eine 
nähere Kritik der Aeußerungen des Herrn Abg. Binz bezüglich der poli- 
tischen Notwendigkeit und Berechtigung dieses Bündnisses meinerseits nicht 
eingehen. Einen gewissen Zweifel bezüglich der Notwendigkeit können aller- 
dings die Ausführungen, die der Herr Abg. Eichhorn vor einigen Tagen 
gemacht hat, erwecken; Herr Eichhorn hat ausdrücklich erklärt — und das 
stimmt mit verschiedenen Kundgebungen aus dem Kreise seiner Partei von 
früher zusammen — daß die sozialdemokratische Partei den Nationallibe- 
ralen auch ohne ein Wahlbündnis beigestanden sein würde. Was die Be- 
rechtigung des Bündnisses anlangt, so glaube ich, daß über den Standpunkt 
der Regierung in dieser Beziehung wohl kein Zweifel möglich sein wird. 
Nur möchte ich das eine bemerken, daß eine Berechtigung dieses Bündnisses 
sich aus einer Argumentation, wie sie Herr Abg. Dr. Binz es beliebt hat, 
nämlich aus einem früheren gleichen Vorgehen des Zentrums in Bayern 
sich nicht herleiten läßt. Die Argumentation, daß die nationalliberale 
Partei das Gleiche getan hat, was das Zentrum in Bayern getan hat, ist 
meines Erachtens in keiner Weise geeignet, das Wahlbündnis in einem 
anderen Lichte erscheinen zu lassen, als es der Regierung tatsächlich er- 
scheint. Eines aber möchte ich schon jetzt, unter Vorbehalt der Erwiderung 
auf Ausführungen des Herrn Abg. Fehrenbach, sagen: das Zentrum hat 
meines Erachtens keinen Grund, seinerseits einen Stein auf dieses Bünd- 
nis zu werfen. (Heiterkeit.) Unter allen Umständen aber steht eines fest — 
daß die Regierung dieser Sache durchaus objektiv und unparteiisch gegen- 
übergestanden hat, und daß es durchaus unberechtigt war (und es wird das 
von allen Beteiligten, gerade auf den Seiten, die das wahltaktische Bünd- 
nis angeht, bestätigt werden können) zu behaupten, die Regierung habe 
ihrerseits dieses Bündnis irgendwie gebilligt oder gefördert. 
Der Herr Abg. Dr. Binz hat am Schlusse seiner Ausführungen, als 
er seine Stellung zur Regierung näher kennzeichnete, noch erklärt, daß die 
nationalliberale Partei der Regierung kein Mißtrauen, aber auch kein be-
	        
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