Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 19./20.) 39
19. Februar. (Lübeck.) Die Bürgerschaft nimmt ein Gesetz
an, wonach das Staatsbürgerrecht erst nach fünfjährigem Aufent-
halt erworben werden kann.
19. Februar. Dem Reichstag wird ein Entwurf für das
vorläufige Handelsabkommen mit Nordamerika vorgelegt.
Es räumt der nordamerikanischen Union die Meistbegünstigung ein,
welche Belgien, Italien, Oesterreich-Ungarn, Rumänien, der Schweiz und
Serbien gewährt worden ist, und zwar ist die Meistbegünstigung gewährt
worden bis zum 30. Juni 1907. In der Begründung wird ausgeführt,
daß die Verhandlungen über den Handelsvertrag bisher zu einem Ergebnis
noch nicht geführt hätten, da die amerikanische Regierung sich zu einer
Stellung zu unseren Vorschlägen noch nicht habe entschließen können.
Die Begründung lautet: Durch Abkommen vom 10. Juli 1900 sind
den Erzeugnissen der Vereinigten Staaten von Amerika diejenigen Zoll-
sätze gewährt worden, welche durch die in den Jahren 1891—1894 mit
Belgien, Italien, Oesterreich-Ungarn, Rumänien, Rußland, der Schweiz und
Serbien abgeschlossenen Handelsverträge diesen Ländern zugestanden waren.
Dieses Abkommen verliert mit dem Außerkrafttreten der Zollsätze der ge-
nannten Verträge am 1. März dieses Jahres seine Grundlage. Es ist
daher deutscherseits am 29. November vorigen Jahres zum 1. März dieses
Jahres gekündigt worden. Gleichzeitig haben wir uns bereit erklärt, mit
den Vereinigten Staaten ein neues Abkommen zu schließen, das den ver-
änderten Verhältnissen Rechnung trägt. Die Verhandlungen haben bisher
zu keinem Ergebnisse geführt, da die amerikanische Regierung sich zu einer
Stellungnahme zu unseren Vorschlägen noch nicht hat entschließen können.
Da aber zu hoffen ist, daß es schließlich doch gelingt, eine Verständigung
zu erreichen, so erscheint es zweckmäßig, daß bis zur Vereinbarung eines
neuen Abkommens ein Uebergangsstadium geschaffen wird, das eine stetige
Fortentwickelung des Verkehrs zwischen den beiden Wirtschaftsgebieten sicher-
stellt. Dies geschieht am besten in der Weise, daß der bisherige Zustand
unter Berücksichtigung der Abänderungen, welche die obengenannten Ver-
träge inzwischen erfahren haben, einstweilen aufrecht erhalten wird. Um
dies Ziel zu erreichen, bedürfen die verbündeten Regierungen der gesetzlichen
Ermächtigung, den Erzeugnissen der Vereinigten Staaten die ermäßigten
Zollsätze der genannten Verträge für die im Entwurf angegebene Frist
einzuräumen.
Die Presse sieht in dem Abkommen im allgemeinen ein Zugeständnis
an Amerika ohne Gegenleistung.
19./20. Februgar. (Berlin.) Der deutsche Handelstag er-
kennt die Notwendigkeit einer Reichsfinanzreform an, verwirft aber
die Brau- und Tabaksteuer.
Februar. Sozialdemokratische Preßstimmen über die Ma-
rokkokonferenz.
Der „Vorwärts“ behauptet, daß Deutschland in der Polizeifrage
ungebührliche Forderungen stelle: Kein Wunder, daß schwarzseherisch ver-
anlagte Nationen behaupten, es müsse zum Kriege kommen; denn Deutsch-
land wolle offenbar den Krieg! Andere versprechen sich im jetzigen Stadium
von der Vermittelung neutraler Mächte noch die Verhütung des Aeußersten.
Aber darin sind sie alle einig, daß Deutschlands Diplomaten hier ein
sehr gewagtes Spiel spielen, dessen Einsatz dem deutschen Volke teuer zu