42 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 22.)
wir keinen Anlaß haben. Man könnte im Zweifel darüber sein, welche
Dauer diesem Gesetzentwurf zu geben sei. Wenn sich die verbündeten Re-
gierungen entschlossen haben, Ihnen den 30. Juni 1907 als den Endtermin
vorzuschlagen, bis zu welchem den Vereinigten Staaten die Zollsätze unseres
Konventionaltarifs stalt unseres Generaltarifs gewährt werden könnten, so
sind hierfür gewichtige Gründe maßgebend gewesen. Eine längere Be-
messung dieser Frist könnte den Anschein erwecken, als wenn wir mit der
jetzigen Regelung einen definitiven Zustand schaffen wollten, während es sich
doch nur um ein Provisorium handelt. Gegen eine kürzere Bemessung der
Frist spricht der Umstand, daß die schwierigen Vertragsverhandlungen binnen
wenigen Monaten nicht beendigt werden können, und daß eine neue Ver-
längerung der Frist in hohem Grade unerwünscht ist. Auch müssen wir
Rücksicht auf unsere Industrie nehmen, die nicht der Gefahr ausgesetzt
werden darf, binnen kurzem wieder vor neuen Verhältnissen zu stehen.
Das würde langfristige Verträge von vornherein unmöglich machen. Es
handelt sich bei der Vertagung unserer Entscheidung nicht um eine mate-
rielle Lösung, sondern um eine Frage des zweckmäßigen Vorgehens. Für
die taktische Behandlung einer Angelegenheit von internationalem Charakter
müssen die Herren uns freie Hand lassen und uns etwas Vertrauen schenken.
Bei Handelsvertragsverhandlungen liegen die Sachen nicht immer ganz
einfach, und es müssen mancherlei Umstände in Berücksichtigung genommen
werden. Insbesondere ist bei Handelsvertragsverhandlungen auch viel Ge-
duld nötig. Auch bei den anderen Handelsvertragsverhandlungen ist nicht
immer alles gleich glatt gegangen, sondern wir haben, wie Sie sich erinnern,
mehrfach unterbrechen und vertagen müssen, ehe ein endgültiges Ergebnis
vorlag, so bei Rußland, Oesterreich-Ungarn und bei anderen Staaten. Diese
Unterbrechungen und Vertagungen trafen aber in eine Zeit, wo der Termin,
der Zeitpunkt des Inkrafttretens unseres neuen Tarifs noch nicht bestimmt
war, und sind deshalb vor der großen Oeffentlichkeit ziemlich unbemerkt
vorübergegangen. Jetzt trennen uns nur noch wenige Tage von dem
1. März, wo unser neuer Zolltarif in Kraft treten wird. Deshalb sind
wir genötigt, vor dieses hohe Haus zu treten, welches durch die Bewilligung
dieses Gesetzentwurfs uns die Möglichkeit gewähren soll, zu versuchen, mit
den Vereinigten Staaten doch noch im guten zu einer Verständigung zu
gelangen. Daß auch bei der Regierung der Vereinigten Staaten der
Wunsch besteht, freundschaftliche, wirtschaftspolitische Beziehungen zu uns
zu erhalten, geht aus einer Note hervor, welche, wie der Kaiserliche Bot-
schafter in Washington vorgestern gemeldet hat, der Staatssekretär Root
an ihn gerichtet habe. In dieser Note ist gesagt, daß, sobald den Ver-
einigten Staaten die ermäßigten Zollsätze bis zum 30. Juni 1907 zugesichert
seien, der Präsident unverzüglich die erforderliche Proklamation erlassen
werde, um Deutschland den Fortgenuß der bisherigen Zollermäßigung der
Aktion 3 des Dingly Tarifgesetzes sicherzustellen. Er hoffe, daß seine Mit-
teilung, nach welcher gewisse Abänderungen des Zollverwaltungsgesetzes und
der Ausführungsbestimmungen in Aussicht genommen sind, von uns als
ein Beweis für den ernstlichen Wunsch des Präsidenten angesehen werde,
die amerikanische Zollverwaltung von allem zu befreien, was den deutschen
Exporteuren irgendwie das Aussehen von Härten zu haben scheint. Er
hoffe ferner, daß während des Zeitraums bis zum 30. Juni 1907 ein
passender Weg gefunden werde, um eine dauernde Grundlage für den
wechselseitigen Handel beider Länder zu schaffen unter Bedingungen, die
für beide Teile befriedigend und vorteilhaft seien. Der Staatssekretär gibt
schließlich der Zuversicht Ausdruck, daß bei Fortdauer der bisherigen freund-
schaftlichen Haltung auf beiden Seiten man zu einem Abschlusse gelangen