44 Nas Beuische Reich und seine einjelnen Glieder. (Februar 23. 24.)
23. Februar bis 2. März. (Reichstag.) Justizetat. Schwur-
gerichte. Tendenzprozesse.
Abg. Stadthagen (Soz.) greift mehrere Urteile gegen Sozial-
demokraten scharf an, der preußische Justizminister habe besonders harte
Urteile gegen Sozialdemokraten verlangt. Abg. Müller-Meiningen
(fr. Vp.) wünscht Diäten für Geschworene und bedauert mehrere harte Ur-
teile, die den Sozialdemokraten Agitationsstoff lieferten. Zu verwerfen sei
das Begehren nach Wiederbelebung der lex Heinze und die Verfolgung des
Nackten in der Kunst durch Polizei und Gericht. Staatssekretär Nieber-
ding verteidigt den preußischen Justizminister. Abg. Ablaß (fr. Vp.) for-
dert Ausdehnung der Kompetenz der Schwurgerichte auf Preßvergehen.
Staatssekretär Nieberding: In diesem Falle werde er eine Revision der
Strafprozeßordnung überhaupt widerraten. Abg. Roeren (93.) fordert
schärfere Strafen gegen Unsittlichkeit in Kunst und Literatur; viele Akt-
photographien würden gar nicht von Künstlern gekauft, sondern seien auf
den Massenvertrieb berechnet. Bei Prozessen über § 184 sei die Zuziehung
von Sachverständigen und Künstlern überflüssig; ob das Schamgefühl ver-
letzt sei, könne der Richter allein beurteilen. Abg. Bruhn (Refp.) führt
Beschwerde über schlechte Behandlung der Zeugen und Angeklagten durch
die Gerichtshöfe. Abg. Stücklen (Soz.): Das Vertrauen der Arbeiter zur
Justiz schwinde infolge vieler Tendenzprozesse. Staatssekretär Nieberding
lehnt die Forderung, die Kompetenz der Schwurgerichte auf Preßsachen
auszudehnen, ab. An dieser Frage würde die Strafprozeßreform scheitern.
— Die Frage der Bekämpfung der unsittlichen Literatur wird lebhaft er-
örtert. — Abg. Heine (Soz.) wirft den Richtern Voreingenommenheit
gegen die Arbeiter vor, wogegen Abg. Roeren (3.) und Staatssekretär
Nieberding protestieren.
23. Februar. (Sachsen.) Die Erste Kammer genehmigt
eine Vorlage über Anderung ihrer Zusammensetzung. Hiernach
ernennt der König fünf Vertreter des Handels, der Industrie, des
Gewerbestandes und einen Vertreter der Technischen Hochschule für
die Erste Kammer.
24. Februar. (Bayerische Abgeordnetenkammer.) In
einer sozialpolitischen Debatte behauptet Abg. Timm (Soz.), daß
im Reiche zurzeit keine vernünftige kulturelle Idee gefördert werde;
Ministerpräsident v. Podewils weist dies Urteil als krasse Un-
gerechtigkeit scharf zurück.
24. Februgar. (Baden.) Die Prinzessin Max von Baden
wird von einem Prinzen entbunden. — Damit ist die Thronfolge
im Zähringer Hause gesichert.
24. Februar bis 7. März. (Preußisches Abgeordneten-
haus.) Kultusetat. — Kongregationen. Landflucht der Lehrer.
Auf eine Anfrage des Abg. Porsch (3.) erklärt Kultusminister
Studt, an den höheren Lehranstalten seien nur neue marianische Kon-
gregationen zugelassen worden; die Oeffentlichkeit habe sich überflüssig hier-
über erregt. Abg. Frhr. v. Zedlitz (frk.) und Ernst (fr. Vg.) fordern Zu-
lagen für Seminarlehrer. Abg. Glowatzki (3.) tadelt den Ausschluß der