NVas Peutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 21.) 67
Journalnummern gehabt, gegen 12400 in 1891. Die Kolonialabteilung
ist dabei auf einem Personalbestand angekommen, welcher denjenigen der
meisten anderen Reichsämter übertrifft oder erreicht. Für jeden, der den
inneren Dienst einer Zentralbehörde kennt, muß es klar ein, daß die Ge-
schäfte der Kolonialabteilung auch in dem Umfange, der nach der Nieder-
werfung der Aufstände bleibt, unmöglich immer noch durch einen Ministerial-
direktor geleitet werden können. Auch in den anderen Reichsämtern haben
wir die Staatssekretäre und Unterstaatssekretäre doch nicht lediglich aus
Dekorationsgründen oder aus einer Freude an der Ausstattung der Be-
amtenhierarchie. Staatssekretäre, Unterstaatssekretäre und Direktoren sind
vielmehr die Träger verschiedener Funktionen. Der Staatssekretär hat die
Vertretung seines Ressorts nach außen wahrzunehmen, ist der Träger des
Geistes und der Ideen, nach denen sein Ressort geführt wird. Der Unter-
staatssekretär hat im allgemeinen die Oberaufsicht über den inneren Dienst
und die Sorge für die Einheitlichkeit der Erledigung der Geschäfte wahr-
zunehmen sowie den Staatssekretär im Bedarfsfalle zu vertreten. Der
Direktor schließlich hat den größten Teil der laufenden Geschäfte endgültig
zu erledigen und dadurch die höchsten Spitzen des Ressorts für ihre eigent-
lichen Aufgaben freizumachen. Bei kleineren Verhältnissen können zwei
dieser Funktionen und vielleicht sogar alle drei von einer einzigen Persön-
lichkeit wahrgenommen werden, bei größeren Verhältnissen ist das unmög-
lich. Bei der Kolonialabteilung ist es schon lange unmöglich, und die
Mängel, die man beklagt, haben zum großen Teil ihren Sitz nicht in den
Personen, die wohl ausnahmslos stets bemüht waren, ihr Bestes zu tun,
sondern in der unzureichenden Organisation.
21. März. Die russische Regierung teilt der deutschen die
vom „Temps“ unrichtig wiedergegebene Note des Grafen Lambs-
dorff an den Grafen Cassini mit:
Telegramm Sr. Exzellenz des Grafen Lambsdorff an Se. Exzellenz
den Grafen Cassini. St. Petersburg, 19. März 1906. Die kaiserliche Re-
gierung hält es für notwendig, den verbreiteten Nachrichten entschieden
entgegenzutreten, als ob sie sich in Widerspruch zu dem Standpunkt Frank-
reichs zugunsten der Schaffung einer besonderen Polizeiordnung in Casa-
blanca ausgesprochen hätte. Diese Nachricht entbehrt der Begründung.
Um daher jede falsche Auslegung in einer Frage von dieser Wichtigkeit
zu vermeiden, werden Sie den französischen Bevollmächtigten zu versichern
haben, daß Sie bereit sind, ihm in der Frage der Polizei in dem genannten
Hafen zu unterstützen. Zu gleicher Zeit werden auch die auf der Konferenz
vertretenen Mächte von dieser Instruktion unterrichtet werden, um den
möglicherweise entstehenden Verdacht eines Doppelspiels Rußlands zu zer-
streuen, während außer dem Wunsche, seinen Verbündeten in seinen berech-
tigten Forderungen zu unterstützen, seine Anstrengung einzig auf ein hohes
versöhnliches Ziel gerichtet sind, nämlich eine Lösung der eingetretenen
Schwierigkeit zu finden, die der Würde der beiden Parteien entspricht.
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt über die un-
richtige Meldung des „Temps“:
„Wir lesen hier zum ersten Male, es sei ernsthaft behauptet worden,
daß Rußland der französischen Regierung geraten haben soll, den früheren
österreichisch-ungarischen Vorschlag tel guel anzunehmen. Wir wußten bis-
her nur, und zwar aus französischen Preßmeldungen ebenso wie aus
deutschen Mitteilungen aus Algeciras, daß der Vorschlag des Grafen
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