Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

80 Vas Denische Reith und seinte einjeluen Glieder. (März 29.) 
und den erforderlichen Bedürfnissen entsprechende Lösung ist. Dieser We 
erspart uns die Durchbrechung eines bewährten und derfaffungerechtlich 
wichtigen Grundsatzes; auf diese Weise vermeiden wir die prinzipielle und 
praktisch bedenkliche Neuerung, daß der Reichskanzler neben den Vorständen 
der übrigen Reichsämter in dem Chef der Kolonialverwaltung einen Stell- 
vertreter bekommen würde, dessen Vorgesetzter ein anderer Stellvertreter 
des Reichskanzlers, nämlich der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, 
sein würde. Je länger ich mich mit dieser Frage beschäftige, um so mehr 
bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine solche Regelung Friktionen 
und Konflikte geradezu provozieren würde und daß für den Kanzler die 
erforderliche Entlastung nicht nur ausbleiben, sondern daß geradezu eine 
Erschwerung der Geschäfte entstehen würde. Nur eine reinliche Scheidung 
des Auswärtigen und des Kolonialressorts kann mir die Möglichkeit geben, 
mit dem Chef der Kolonialverwaltung in gleicher Weise zu arbeiten wie 
mit. den Vorständen der übrigen Reichsämter. Solange der Chef der 
Kolonialverwaltung für seine Person der Untergebene des Staatssekretärs 
des Auswärtigen Amtes bleibt und solange die Kolonialverwaltung dem 
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes unterstellt bleibt, ist es für den 
Reichskanzler nicht nur ein Gebot der persönlichen Rücksichtnahme, sondern 
ein Gebot der Notwendigkeit, daß er, wie in allen wichtigeren kolonial- 
politischen Fragen, auch in solchen, die keine direkte unmittelbare Beziehung 
auf auswärtige Politik haben, nicht nur mit dem Chef der Kolonialver= 
waltung, sondern auch mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts 
Fühlung behält. Daran wird auch durch die Stellvertretungsbefugnisse 
des Chefs der Kolonialverwaltung nichts geändert. (Sehr richtig! rechts.) 
Was nach meiner Ueberzeugung in organisatorischen und verfassungsrecht- 
lichen Fragen vor allem not tut, was die Voraussetzung für den geord- 
neten Gang der Reichsmaschine ist, ist Einfachheit und Klarheit. Das 
Räderwerk bleibt. Darum muß ich mich gegen einen Weg aussprechen, 
der auf den ersten Blick manches für sich haben mag, der sich bei näherem 
Zusehen aber als staatsrechtlich bedenklich herausstellt und der für den 
Reichskanzler wie für den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und den 
Chef der Kolonialverwaltung die Geschäfte in hohem Grade erschweren 
würde. Dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes wird, solange die 
Kolonialverwaltung in irgend einer Form im Verbande des Auswärtigen 
Amtes bleibt, bei dem Umfange und der Bedeutung, welche die auswärtigen 
wie die Kolonialgeschäfte angenommen haben, eine Geschäftslast zugemutet, 
der auch ein arbeitskräftiger Mann mit guten Nerven nach meiner Ueber- 
zeugung nicht mehr gewachsen ist. (Sehr richtig! rechts.) Mein lang- 
jähriger, treuer und ausgezeichneter Mitarbeiter, der uns leider zu früh 
entrissene Staatssekretär von Richthofen, dessen Arbeitsfreudigkeit und Ge- 
schäftskenntnis ja auch in diesem Hause stets Anerkennung gefunden hat, 
ist unter der Bürde zusammengebrochen, welche die heutige Organisation 
auf seine Schultern gelegt hat. Er hat mir wiederholt erklärt, daß er der 
allzu großen Belastung nicht mehr gewachsen sei, er hat die kolonialen 
Geschäfte den Nagel zu seinem Sarge genannt. Er war Kolonialdirektor 
gewesen, bevor er Unterstaatssekretär und Staatssekretär des Auswärtigen 
Amtes wurde. Bei dem lebhaften Interesse, welches er für unsere Kolonien 
bewahrt hatte, ist ihm die Erklärung gekommen, daß er die Verantwort- 
lichkeit der Kolonialgeschäfte nicht länger tragen könne. Da muß ich mir 
doch sagen, daß eine Geschäftslast in kolonialen Angelegenheiten, welcher 
der Herr v. Richthofen nicht mehr gewachsen war, von einem neuen Mann 
neben den auswärtigen Geschäften nicht wohl getragen werden könne. (Sehr 
richtig! rechts.) Herr v. Richthofen war der letzte und der einzige, der
	        
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