Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

FJas Denisihe Reich uund seine einjelnen Glieder. (März 31. April Anf.) 85 
31. März. Der Reichstag genehmigt ein Etat-Notgesetz. 
Danach können von den durch den vorjährigen Reichshaushalts- 
etat festgestellten Summen sowohl bei den fortdauernden Ausgaben als 
auch bei den unter den einmaligen Ausgaben des ordentlichen und außer- 
ordentlichen Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1906 wieder- 
erscheinenden Ausgaben für die Monate April und Mai je ein Zwölftel 
zuzüglich derjenigen Mehrerträge verausgabt werden, welche zur Erfüllung 
der auf einen längeren Zeitraum im voraus fälligen Verbindlichkeiten er- 
forderlich sind. — Ebenso im Haushalt der Schutzgebiete. 
31. März. (Preußen.) Nach dem Etatsgesetz balanciert der 
Etat mit 2910344 396 Mark. 
Ende März. Bergarbeiterausstand im sächsisch-thüringischen 
Braunkohlenrevier. 
In den Bezirken Meuselwitz, Weißenfels, Zeitz legen die meisten 
Bergarbeiter die Arbeit nieder. Sie fordern eine Lohnerhöhung, Ver- 
kürzung der Arbeitszeit allmählich auf acht Stunden, ausreichende Holz- 
lieferung, gutes Trinkwasser, anständige Behandlung, Anerkennung der 
Organisation. Da die Ausständigen die Arbeiterausschüsse, die gesetzlichen 
Vertreter der Arbeiterschaft, nicht anerkennen, lehnt das Oberbergamt Halle 
die nachgesuchte Vermittelung ab. — Am 26. Moai schließt der Streik; die 
Betriebe gewähren neunstündige Arbeitszeit und eine Lohnerhöhung um 
20 Pfennig. 
März—Juni. In vielen Industrien gibt es größere oder 
kleinere Ausstände. 
März—Juni. Streik in der Metallindustrie. 
Der Vorstand des Gesamtverbandes der deutschen Metallindustriellen 
lehnt mehrere Forderungen des deutschen Metallarbeiterverbandes ab 
(9. März). Infolgedessen legen in mehreren Städten die Gießer und Former 
die Arbeit nieder, die Industriellen antworten mit umfangreichen Kün- 
digungen und Aussperrungen (Ende März, Anfang April); die Industriellen 
lehnen die Verhandlungen mit den Arbeiterorganisationen ab. Der Gesamt- 
verband billigt die Haltung der einzelnen Industriellen und beschließt für 
Anfang Juni die Entlassung von 60 Prozent der Arbeiter, falls eine 
Einigung nicht bis dahin zustande kommt (2., 14. Mai). Ende Mai und 
Anfang Juni wird eine Verständigung gefunden: die Arbeiter lassen die 
Forderung des Mindestlohns fallen und erhalten Bezahlung nach den 
Leistungen, Ueberstunden sollen möglichst vermieden und dafür 25 Prozent 
Lohnerhöhung vergütet werden, die Ausständigen sollen wiederangestellt 
werden, soweit ihre Stellungen nicht besetzt sind. 
Anfang April. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt 
über die Haltung der russischen Regierung gegenüber dem „Temps“: 
Wir hatten am 27. März mitgeteilt, daß der russische Botschafter in 
Paris ähnlich wie der russische Ministerpräsident und der Minister des 
Auswärtigen die Veröffentlichung des Temps über die Instruktion an den 
Grafen Cassini in einer Erklärung an den deutschen Botschafter als takt- 
lose Verdrehung der Wahrheit mißbilligt haben. Darauf erdreistete sich 
der Temps am 29. März unsere Feststellung auf lügnerische Information 
zurückzuführen und sich zu rühmen, daß seine Behauptung, der russische 
Botschafter habe in einer Unterredung mit Fürst Radolin keiner solchen 
 
	        
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